Hip-Hop im Internet:Nudelsuppe aus Harlem

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Selbstgemachte Tanzmoden aus dem Hip-Hop-Untergrund erobern die Hitparaden. Oft sind die Clips nicht mehr als auffrisierte Abzählreime mit Tanzanleitung - doch Kulturpessimismus ist völlig fehl am Platz.

Jonathan Fischer

Als die Hip-Hop-Welt gebannt den Wettkampf um die Oberhoheit über die Hitparaden zwischen 50 Cent und Kanye West verfolgte, bereitete ein Außenseiter namens Soulja Boy in den Tiefen des Internets schon seinen Siegeszug vor, der die beiden Hitgiganten aus dem Rennen werfen sollte. Der 17-jährige Rapper stammt aus Mississippi. Vor paar Monaten kannte ihn noch kein Mensch.

Soulja Boy tritt am 27. August in der MTV-Show "Total Request Live" in New York auf. (Foto: Foto: ap)

Doch dann verdrängte seine Single "Crank Dat" im September Kanye West vom Platz eins der amerikanischen Hitparade. Und das ganz ohne Medienrummel. Ein selbstgemachtes Video mit Tanzanleitungen, das DeAndre Way alias Soulja Boy auf die Videowebseite Youtube stellte, reichte aus, um ein landesweites "Crank Dat"-Fieber auszulösen. Hunderte Nachahmer drehten Videos mit eigenen Versionen des Hip-Hop-Tanzes.

Selbst Prominente wie Jamie Foxx, Samuel L.Jackson und die Zeichentrickfigur Sponge Bob stiftete das Video zu Verrenkungen an, die ursprünglich von Superman inspiriert wurden. 4 Millionen haben bereits den Original-Clip zu "Crank Dat" angeklickt, zwei Millionen das Anleitungsvideo, zehn Millionen besuchten Soulja Boys Myspace-Seite.

Blaupause des Musikgeschäfts

Nun läuft der Song stündlich auf den Hip-Hop-Radiosendern - neben konkurrierenden Modetanzhits wie "Hokey Pokey" oder "Laffy Taffy". Oft sind diese Songs nicht mehr als auffrisierte Kinderabzählreime mit gerappten Tanzanleitungen. Auch "Crank Dat" klingt, als ob ein Haufen Halbstarker Abzählreime rezitiert, während eine Steeldrum über dem Beat ein Calypso-Motiv repetiert, das in seiner Schlichtheit an das Orff Schulwerk erinnert.

Traditionelle Hip-Hop-Fans verlieren da schon mal die Nerven: "Schon wieder hat ein unkreativer MC einfach einen neuen Tanzschritt zu seinem Beat erfunden", schäumte etwa der Journalist Bryan Kennedy. "Mit diesem simplen Rezept verdrängen Typen wie Soulja Boy jeden ernsthaften Rap." Andere Kritiker unken schon vom Niedergang der Lyrik im Hip-Hop.

Das ist allerdings verfehlter Kulturpessimismus. Auch der erste weltweite Hip-Hop-Hit "Rapper's Delight" war 1979 nicht viel mehr als eine amüsant abgenudelte Tanznummer. Schwarze Legenden wie James Brown, Chubby Checker oder Rufus Thomas verdankten ihren Aufstieg schon vor einem halben Jahrhundert mehr oder minder unsinnigen Tänzen wie dem "Good Foot", dem "Mashed Potatoes" oder dem "Funky Chicken".

Das alles steht in der Tradition einer schwarzen Subkultur, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Modetänzen wie dem "Jitterbug" oder dem "Lindy Hop" Tanzmoden auslöste, die erst die schwarzen Clubs und dann die Tanzböden des Bürgertums eroberten. So kehrt mit den Youtube-Tanzmoden die ursprüngliche Intention des Hip-Hop zurück, als man den Strom für die Musikanlage von Laternenmasten zapfte, für gewagte Breakdance-Figuren Pappkartons auf dem Bürgersteig auslegte und vor allem Spaß haben wollte.

Anarchischer Appeal

Entsprechend altmodisch klingt Soulja Boy: "Watch me crank dat robocop; super fresh now watch me jock!" Nur, dass die neuesten Tänze nicht mehr auf der Straße verfeinert werden, sondern heute von jedermann ins Internet gestellt werden können, um von dort aus Millionen zu infizieren.

Mögen Superman-Figur, gespieltes Motorrad-Gasgeben und von Seite-zu-Seite Gehüpfe eines boxenden Kängurus noch so lächerlich wirken: "Crank Dat" wird inzwischen in Diskotheken rund um die Welt getanzt, Beyoncé hat ihn in ihre Bühnenshow aufgenommen und Eltern lassen sich den Tanz von ihren Kindern erklären. Zumal "Crank Dat" sogar etwas anspruchsvoller ist als seine Vorgänger.

Da war zum Beispiel der "Chicken Noodle Soup", ein Tanz, den sich Kinder letztes Jahr auf den Straßen von Harlem ausgedacht haben und der dank dem Video von DJ Webstar und Young B landesweite Beachtung fand. Oder der vom Rapper und Produzent Jason Fox über Youtube popularisierte "Aunt Jackie". Aus Shreveport, Louisiana kam im Sommer "The Rick James" von Hurricane Chris, es gab den "Motorbike", den "Wipe Me Down", den "Snap & Lean".

Was diese Moden so erfolgreich macht ist ihr anarchischer Do-It-Yourself-Appeal, die Möglichkeit, sofort mitzumachen - im Gegensatz zu den athletischen Herausforderungen Breakdance und Krumping. Die spontane Ästhetik der Youtube-Clips schafft Nähe, gegen die die mit Millionenbudgets gedrehten Videos von 50 Cent oder Kanye West nicht ankommen. Kein Wunder also, dass sich die von enormen Umsatzeinbußen gebeutelte Hip-Hop-Industrie um die tanzenden Kinder aus dem Internet reißt.

Eigene Gesetze

"Souljaboytellem.com" heißt das am 16. Oktober erschienene Debütalbum des "Crank Dat"-Erfinders beim Hip-Hop-Riesen Interscope. Die vermeintlich phantasielose Übernahme der Website-Adresse macht Sinn. "Soulja Boy ist die Blaupause des neuen Musikgeschäfts", erklärt Chris Clancy, Marketing-Direktor bei Interscope "Er hat seinen Erfolg ganz alleine aufgebaut". Der Junge aus Mississippi hatte seine Songs ursprünglich zu Hause mit einem Programm auf dem Computer seines Vaters gebastelt und auf gut Glück online gestellt: "Ich spielte nur rum. Aber als ich das Video mit meiner Myspace-Seite verlinkte, und die Klicks sich vervielfachten, begann ich das Ganze ernst zu nehmen".

Musik-Scouts erzählten dem Produzenten Mr. Collipark aus Atlanta vom Phänomen. Der Industrieveteran machte den Kindertest: Jeder Dreikäsehoch, den er fragte, kannte den Tänzer und Rapper aus dem Internet. Sofort ließ Mr. Collipark die Songs aus Soulja Boys Heimcomputer neu aufnehmen. Sobald der erste DJ aus Atlanta den Song spielte, war die Lawine nicht mehr aufzuhalten. "Crank Dat" wurde zum gefragtesten Song der Radiosender, dann der Hitparaden, ausschließlich aufgrund der Mund-zu-Mundpropaganda seiner jugendlichen Fans. Interscope lernte schnell. Auch für das fertige Album verzichtet man auf groß angelegte Werbe- und Radiokampagnen. Das Internet hat seine eigenen Gesetze.

© SZ vom 20./21.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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