Handke: Was zuvor geschah:Winterliche Reise

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Die Haltung, die Peter Handke zu den Jugoslawienkriegen einnahm, setzt ihn dem Verdacht des Relativismus aus. Mit seiner Suche nach einer Sprache jenseits von Schuld und Unschuld findet er wenig Gehör.

Von Thomas Steinfeld

Als die Nato im Frühjahr 1999 mit der Bombardierung Serbiens begann, war dieser Feldzug ein ungeheuerlicher Akt: Es war das erste Mal, dass die Nato in den Krieg zog, ohne dass der Bündnisfall eingetreten war. Sie tat es ohne die Unterstützung der Vereinten Nationen. Sie hatte sich entschieden, in einer politisch wie militärisch komplizierten Situation, die Kriegspartei anzugreifen, die ihr als die gefährlichste erschien. Viele Jahre nach den Ereignissen traten dann einige an diesen Entscheidungen beteiligte Politiker auf, darunter der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, und zweifelten die Legitimität ihrer eigenen Beschlüsse an. Und das Kriegstribunal in Den Haag stellte im Jahr 2016 fest, dass eine direkte Verantwortung Slobodan Miloševićs an "Verbrechen wider die Menschlichkeit", darunter das Massaker von Srebrenica, nicht nachzuweisen sei.

Peter Handke, in Kärnten in einer aus Slowenien stammenden Familie aufgewachsen, hatte vermutlich schon seit seiner Kindheit Sympathien für Jugoslawien gehegt. Das Zerbrechen des Vielvölkerstaats in den frühen Neunzigern muss ihm als persönliches Debakel erschienen sein. Im Jahr 1996 veröffentlichte er dann den Reisebericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien", denen später ähnliche Schriften folgten. Sie bestehen im Wesentlichen aus Beobachtungen aus einer Kriegslandschaft, einschließlich der Beschreibung von Idyllen, und sind von einer Grundsympathie für die Serben und ihre Lebensverhältnisse getragen, die das Politische zumindest nicht ausschließt. Aus dieser Parteinahme entstand eine der heftigsten Debatten, die je einem deutschsprachigen Autor galten: Peter Handke geriet in Verdacht, den Krieg und die Kriegsverbrechen der Serben wenn nicht verteidigt, so doch zumindest relativiert zu haben.

Dieser Verdacht, bei manchen seiner Kritiker zur Gewissheit gesteigert, begleitet Peter Handke bis heute. Es scheint ihm nicht zu helfen, dass er sich schon vor Jahren deutlich von der serbischen Politik wie von deren Kriegführung distanzierte und das Massaker von Srebrenica das "schlimmste 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit'" nannte, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa begangen worden sei. Dabei war es Peter Handke bei seinen Berichten gar nicht um Politik gegangen.

Vielmehr hatte er den Schuldzuweisungen gegenüber den Serben, auf deren Grundlage nicht Politiker, sondern vor allem Zivilisten bombardiert wurden, nicht nur eine Anschauung entgegensetzen wollen, sondern auch eine Sprache, in der nicht über Schuld und Unschuld verfügt wurde, sondern die dem Einzelnen und dessen Erfahrungen Raum geben sollte. Dass Peter Handke mit diesem Begehren wenig Gehör findet, lässt die Debatte um sein Verhältnis zu Serbien schon beinahe tragisch erscheinen.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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