Großkritikerin:Michiko Kakutani

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38 Jahre lang hat sie für die "New York Times" über Literatur geschrieben, jetzt hat sie via Twitter ihren Abschied verkündet.

Von Willi Winkler

Norman Mailer nannte sie schamlos rassistisch einen "one-woman-Kamikaze", J. K. Rowling und Jonathan Franzen erwähnen sie nicht unbedingt freundlich in ihren Büchern, selbst in "Sex and the City" und in "Girls" wurde sie als Referenzgröße angeführt. Einflussreich und hochgebildet ist Michiko Kakutani, dabei ohne den gnadenlosen Populismus, mit dem sich der alte Marcel Reich-Ranicki so viele illiterate Freunde machte. Länger noch als er wirkte die Tochter eines aus Japan stammenden Mathematikprofessors als Literaturkritikerin bei einer Zeitung. Sie ist erst 62 Jahre alt, doch am Donnerstag beendete sie nach 38 Jahren ihre Arbeit bei der New York Times, um sich, wie sie auf Twitter verkündete, in Zukunft "längeren Arbeiten über Kultur & Politik" zu widmen. Ihre Texte waren gern reine Vernichtung, aber nie kurz, immer durchdacht und mit einem Wort-Aufwand geschrieben, der oft sogar die zu rezensierenden Bücher von Salman Rushdie oder John Updike schülerhaft aussehen ließ. Nein, sie war nicht beliebt, ihre Verrisse waren gefürchtet, ihre Kritik aber immer verlässlicher als der Hype, den die Verlage um ihre Star-Autoren veranstalteten. Selbst Thomas Pynchon hielt sie vor, dass sein Roman "Mason & Dixon" Kürzungen vertragen hätte, während sie beim literarischen Debütanten Keith Richards dessen "tief empfundene Ehrlichkeit und den Charme des bösen Jungen" zu loben wusste. Zuletzt nutzte Kakutani die amerikanische Ausgabe der Hitler-Biografie Volker Ullrichs, um den Aufstieg Donald Trumps mit dem des Münchner Großmauls zu vergleichen, ohne den Namen des Präsidentschaftskandidaten ein einziges Mal zu erwähnen. Nie aber beschränkte sie sich auf Feingeisterei: Bereits 2004 zitierte sie zustimmend den anonymen Autor eines Buches über den Krieg in Afghanistan: "Amerikanische Soldaten und die amerikanische Politik vollenden die Radikalisierung der islamischen Welt, etwas, das Osama bin Laden seit den frühen 1990ern mit ziemlichem, wenn auch nicht vollständigem Erfolg versucht hat." Ohne diesen leidenschaftlichen Zankteufel ist nicht nur das Feuilleton arm dran.

© SZ vom 29.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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