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1980 bekam Sten Nadolny den Bachmannpreis und sorgte mit seiner Kritik an dem Wettbewerb für Aufruhr in Klagenfurt. Dem berühmtesten Juror Marcel Reich-Ranicki erklärte er das in einem Brief so.

Von Marie Schmidt

Es ist in unserer Moderne nicht vorgesehen, aber es gibt Sachen, die sind nicht dazu gemacht, sich innovativ zu ändern. Zum Beispiel das Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis, das seit 1977 jedes Jahr in Klagenfurt abgehalten wird. Sicher, man hat in den vergangenen vier Jahrzehnten die Regularien immer mal zurechtgezupft, aber die Grundkonstellation steht ehern: Jeder Autor tritt allein vor die Jury und darf eine halbe Stunde lang vorlesen. Danach sprechen die Juroren und treffen ihr Urteil. Der Autor hat dem stumm zu lauschen. Generationen von Schriftstellern haben sich in dieser tribunalartigen Situation unwohl gefühlt. Heute, in einer Gesellschaft, die ständig Kommunikation, Empathie, Dialog einfordert, wirkt die Veranstaltung absurder denn je. Merkwürdigerweise fügen sich aber gerade jüngere Autorinnen und Autoren duldsam in das Prozedere, als wäre es Naturgesetz. Das war nicht immer so. Als ihm 1980 der Bachmannpreis für ein frühes Kapitel aus seinem Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit" zugesprochen worden war, sorgte Sten Nadolny für Aufruhr bei der Preisverleihung. Er bat, das Preisgeld von 100 000 Schilling, das waren 14 000 Mark, unter allen damals 28 Autorinnen und Autoren, die gelesen hatten, aufzuteilen. Es missfiel ihm, was der Wettbewerb unter den Kollegen anrichtete: "Als Autor kommt man in die ungute Lage, sich über offensichtlich durchgefallene Kollegen in manchen Fällen doch insgeheim zu freuen", schrieb er in einem offenen Brief in der SZ. Nun ist im Deutschen Literaturarchiv Marbach im Nachlass von Marcel Reich-Ranicki ein Brief aufgetaucht, mit dem Sten Nadolny damals seine Haltung dem einflussreichen Kritiker erklärte. Reich-Ranicki hatte den Wettbewerb mitinitiiert und war bis 1986 in der Jury. Geantwortet hat er Nadolny nicht. Erst durch den Fund im Archiv erfuhr der Schriftsteller, dass sein Adressat an zentraler Stelle ein Fragezeichen angemerkt hat.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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