Großformat:Letzte Begegnung

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1947 malte Vladimir Kostetsky sein bekanntes Bild "Die Rückkehr". Zeigt es einen glücklich nach Hause kommenden Rotarmisten, wie man immer dachte, oder eine ganz andere Szene?

Von Catrin Lorch

Ein Gemälde im Stil des sozialistischen Realismus: starkes Motiv in ehrlichen, kräftigen Farben, keine Spielereien, was Handschrift oder Stil angeht. Vladimir Kostetskys berühmtes Gemälde "Die Rückkehr" von 1947 ist eigentlich kein Werk für das "Großformat". Es hängt im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine. Doch es ist seine Geschichte, die kaum jemand kennt, und diese verändere den Blick auf das Gemälde vollkommen, so Tania Zhmurko, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums.

Bisher wurde das Bild immer als Darstellung der glücklichen Rückkehr eines sowjetischen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg verstanden. Das hätte sich auch durchaus auf die Biografie des Künstlers beziehen können, der Soldat der Roten Armee war. Doch den glücklichen Moment gab es nie: Vladimir Kostetsky hat womöglich nicht seine Rückkehr gemalt, sondern die letzte Begegnung mit seiner Familie.

1941, kurz vor der Schlacht um Kiew, hatte er als Soldat noch einmal die Erlaubnis erhalten, seine Frau und seine Kinder zu besuchen. Kiew wurde besetzt, und die Familie floh aus der Stadt, während Kostetsky als "Ostarbeiter" ins Deutsche Reich geschickt wurde. Was er nicht wusste, als er nach dem Krieg nach Hause zurückkehrte, war, dass seine Familie sich nach Österreich durchgeschlagen hatte. Er hatte zwar die unbestimmte Ahnung, dass Frau und Kinder den Krieg überlebt hatten, konnte sie aber nicht wiederfinden, weil Kontakte zwischen Sowjetbürgern und dem Westen nicht möglich waren. Das Bild blieb ein Traum, eine Vision, die sich für ihn nie erfüllte.

Kostetsky war vorsichtig genug, den verborgenen Inhalt der "Rückkehr" nicht publik zu machen. Sonst wäre das Bild wohl nicht für den Stalinpreis nominiert worden, der höchsten kulturellen Auszeichnung dieser Zeit. Gerüchten zufolge war Josef Stalin persönlich an der Auswahl der Preisträger beteiligt. Vielleicht, so mutmaßt Tania Zhmurko, habe der Diktator ja gespürt, dass etwas mit dem Gemälde nicht stimmte. "Nein, der Gewinner soll auf keinen Fall so aussehen", verfügte er. Und sagte die Preisverleihung ab.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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