Großformat:Im Treibhaus einer Seuche

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Die Bühnenbildnerin Katja Haß hat für eine Inszenierung von Knut Hamsuns "Spiel des Lebens" einen Raum gestaltet, in dem ein Virus keimt: der Faschismus. Die Premiere am Münchner Residenztheater ist entfallen. Wir zeigen Haß' Bühnen-Entwurf.

Von Christine Dössel

Das Theater ist eine Kunst am Puls der Zeit, Aktualität ist seine Stärke. Bitter jedoch, wenn die Wirklichkeit eine Produktion plötzlich derart einholt und überrollt wie die derzeitige Coronakrise die Endproben zu Knut Hamsuns "Spiel des Lebens" am Münchner Residenztheater. In dem wenig bekannten Stück des norwegischen Literaturnobelpreisträgers, einer Trilogie, bricht im rauschhaften zweiten Teil ein seltsames Fieber aus, von dem es heißt, es komme aus dem hohen, wilden Norden. Es verursacht mehrere Tote, wie das Mittelstück überhaupt in Verwüstung, Krankheit und Tod endet.

"Geradezu unheimlich" sei das bei den Proben gewesen, als sie zunächst von diesem neuartigen Virus aus China hörten, sagt die Bühnenbildnerin Katja Haß, die versuchte, diese Stimmung in ihrer Raumgestaltung einzufangen. Das Virus kam näher, breitete sich zur aktuellen Pandemie aus - und verhinderte, dass die Inszenierung herauskam. Alles war fertig, eine Riesenproduktion mit 15 Schauspielern, acht Wochen Probenzeit. Premiere wäre letzte Woche gewesen. Doch am Residenztheater sind, wie an allen Bühnen, die Schotten dicht.

Wie ein verstopftes Ventil sei das, sagt Katja Haß, "als müsste man etwas in sich verschließen, was unbedingt an die Luft will". Haß ist die künstlerische Partnerin und Frau des Regisseurs Stephan Kimmig. Sie entwirft die Bühnen für die meisten seiner Inszenierungen. "Spiel des Lebens" wäre beider Debüt am Münchner "Resi" gewesen. Eigentlich ist Kimmig Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin.

Hamsuns Dramen-Trilogie, entstanden zwischen 1895 und 1898, umfasst die Stücke "An des Reiches Pforten", "Spiel des Lebens" und "Abendröte". Held aller drei Teile ist der reaktionäre, von Nietzsche und der nordischen Mystik beeinflusste Philosoph Ivar Kareno, weshalb man den Dreiteiler auch "Kareno-Trilogie" nennt. Anfangs, als er mit einem Buch voller rechter, antidemokratischer Ideen auffällt, von denen er nicht ablassen will, ist er jung und mittellos und verliert seine Frau an einen Journalisten. Im zweiten Teil, zehn Jahre später, arbeitet Kareno als Hauslehrer bei einem reichen Gutsbesitzer, dessen kapitalistische Gier alle zu infizieren scheint. In "Abendröte" schließlich, von Katja Haß als "Polit-Farce" bezeichnet, ist Kareno 50, etabliert, auch seine Frau ist wieder da. Verschiedene Parteien versuchen, ihn ins Parlament zu bringen, wenn er sich denn gemäßigter gäbe. "Wie viel rechtes Denken schleicht sich in die liberale Mitte ein?" Das sei die Frage, sagt Haß.

Dräuender Rechtspopulismus, pervertierter Kapitalismus, Seuche, Krankheit, Systemzusammenbruch - ausgehend von solchen Stichworten schuf Haß einen "abgeschotteten Raum", der aussieht wie eine riesige Lagerhalle. "Aber es könnte auch ein Labor sein oder eine Quarantänestation", an den Seiten abgehängt mit Metzger-Plastikvorhängen, gestützt von Eisenprofilen, wie auf Haß' Modellzeichnung zu sehen. Dieser Raum wird für den ersten und zweiten Teil des Abends leicht variiert, aber die verseuchte Grundstimmung soll die nämliche sein, "sodass man gar nicht sagen kann: Ist es draußen toxisch oder drinnen? Oder spielt das schon auf dem Mond?"

Was in diesem weißen Raum grün an den Rändern sprießt, ist Strandhafer, teils frisch, teils verwest. Haß hat sich dazu - wie zu der ganzen Gewächshausidee - von einer Ausstellung im Museum of Modern Art in Schanghai inspirieren lassen, in der genmanipuliertes Getreide zu sehen war (Foto). Sie sammelt solche Eindrücke auf Recherchereisen. Das Virus, das in ihrem Treibhaus keimt, ist nicht Sars-CoV-2, es ist das Virus des Faschismus. Auch der Autor Knut Hamsun war, wie man weiß, nicht davor gefeit. Und das Schlimme ist: Es gibt noch immer keinen Impfstoff.

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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