Großformat:Geheime Botschaft

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Mit Skizzen wie dieser berechnete der Komponist Luigi Nono minutiös Klangsektoren und Tonaggregate. Schade nur, dass man seine kryptischen Partituren nicht lesen, geschweige denn hören kann.

Von Wolfgang Schreiber

Für manchen Klassikversteher verblüffend: Musik ist nicht in Gefühlsregionen verankert, sondern in Struktur und Form. Und ihre Notation hat mit Berechnung und Kalkül zu tun, untergründig mit Ideen - bei Beethoven oder Brahms nicht anders als bei Strawinsky oder Schönberg. Die Bestätigung brachte die Deutsche Post: Eines Tages im Jahr 1986 gelangte ein Großbrief aus Berlin nach München mit seltsamem Inhalt. Luigi Nono (1924-1990), Komponist aus Venedig, damals DAAD-Stipendiat in Berlin und heute eine Größe der Musikgeschichte, schickte ein Skizzenblatt - einfach so, als Hinweis auf seine Musik.

Begegnungen mit Luigi Nono konnten beflügeln. Es gab, zu Proben und Aufführungen seiner neuen Stücke in Venedig und Mailand, in Köln, Donaueschingen, Berlin oder München, manchen Gedankenaustausch, Gespräche im Kaffeehaus oder beim Gehen unter Bäumen. So offen sich Nono Musikern und selbst Musikjournalisten gegenüber verhalten konnte, in seinem Kunstanspruch, im Umgang mit den Noten und Partituren bei Konzertproben, reagierte er mit strengem Scharfsinn, manchmal impulsiv, zuweilen aufbrausend.

In seinen früheren Jahren und bis in die Siebzigerjahre hinein war Nono berühmt als der "linke" Komponist Italiens, Mitglied der Kommunistischen Partei, der mit seiner "politischen" Musik zum Verfechter einer anderen Gesellschaft wurde, für antifascismo und die damals angesagte Revolution - musikalisch strikt auf dem Kunstniveau der Avantgarde, nie mit den Mitteln platter Agitati-on. Dann die Wende ins Poetische, ins von Nono beschworene "Messianische": Er schrieb sein Hölderlin-Streichquartett, das Prometheus-Oratorium, als "Tragödie des Hörens".

Der durch die Skizze gewährte Blick in die Komponistenwerkstatt zeigt, wie haarscharf Nono Berechnungen von Klangsektoren und Zahlenproportionen ausprobiert, wie er sie durchgezählt, nummeriert, geordnet, Tonaggregate in Farbe gerahmt und mit schwungvoller Hand aufs Papier geworfen hat. Kaum zu ahnen, wie geisterhaft die filigranen Töne und Klangflächen dann ineinander fließen können, wie der Zauber lyrischer "Botschaften" dahinter entsteht.

Das Datum in der Signatur mit Gruß und das umrandete Wörtchen "Kurtag" weisen auf das hellhörige Stück "Omaggio a György Kurtág" für Alt, Flöte, Klarinette, Tuba und Live-Elektronik hin, gewidmet dem von Nono verehrten ungarischen Komponisten, dessen Beckett-Oper demnächst aufgeführt werden soll. Nur die Skizze bleibt stumm - und behält ihre eigene Poesie.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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