Großformat:Die Dächer müssen Wälder werden

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Alle meinen, das Werk von Friedensreich Hundertwasser zu kennen. Was nur wenige wissen: Der Künstler war auch ein Pionier der grünen Architektur. Die Seiten eines Buches, das nie erschien, zeigen das.

Von Laura Weissmüller

Begrünte Dächer und Hausfassaden, Autobahnen, die unter der Erde verschwinden, Bäume und Grünflächen, die als eine Art Wiedergutmachung gepflanzt werden, weil man andernorts baut - das alles klingt nach Ideen von heute. Schließlich dämmert es der Gesellschaft, wie zerstörerisch ihr Bauboom ist. Die Klimabilanz von Beton ist fatal, die Müllberge gespeist von Bauschutt wachsen stetig und was die Versiegelung für das Grundwasser bedeutet, mag man sich nicht in seinen Albträumen vorstellen.

Tatsächlich sind diese Vorschläge schon fast ein halbes Jahrhundert alt. Was aber noch erstaunlicher ist: Sie stammen von Friedensreich Hundertwasser. Wir zeigen Seiten eines Buches, an dem der österreichische Künstler Anfang der Siebzigerjahre arbeitete, das aber nie erschienen ist. "In wenigen Jahren wird man gezwungen sein, ein Baugesetz herauszubringen, das für jedes Haus, für jede Garage, für jede Fabrik, besonders für jede Fabrik, eine ein bis zwei Meter hohe Erdschicht vorschreibt", heißt es da auf einem schmalen Streifen Papier, der mit Tesafilm über das Foto eines Hauses geklebt wurde. Dahinter ragt Hundertwasser empor, einen Blumenkasten unter den Arm geklemmt, dessen gräserner Inhalt mit "GRÜN" beschriftet ist.

Hundertwasser gehört zu der Kategorie belächelter Künstler, die man zu kennen glaubt, nur weil man schon so oft im Souvenirshop an all den Kalendern, Regenschirmen und Tassen mit seinen penetrant fröhlich bunten Motiven vorbeigelaufen ist. Dass der Autodidakt in puncto Bauen ein Visionär in grüner Architektur war, der hellsichtig die Verwüstung vorausgesehen hat, die die Urbanisierung mit sich bringt, wissen dagegen nur wenige.

"Die Natur war immer eine Inspirationsquelle für Hundertwasser", sagt Andrea C. Fürst. Sie arbeitet für die Hundertwasser gemeinnützige Privatstiftung in Wien und hat das Werkverzeichnis des Künstlers erstellt. Schon früh sei ihm deswegen der Kontrast zwischen Natur und der Stadt aufgefallen. Das wollte er ändern, getreu seinem Grundsatz: "Überall wo Schnee und Regen hinfällt, muss die Vegetation frei wachsen. Die Dächer müssen Wälder werden, die Straßen müssen grüne Täler werden. Die Beziehung Mensch - Vegetation muss religiöse Ausmaße annehmen. Nur, wenn Du den Baum liebst wie Dich selbst, wirst du überleben."

Deswegen forderte der Künstler schon 1968 in seinem Manifest "Los von Loos" Parkanlage für die Dächer von Wien. Mit "Baummietern" - Bäumen, die aus Nischen in der Fassade wachsen - und "Veitschi" - begrünten Wänden - wollte er die Natur in die Stadt zurückbringen und diese dadurch auch menschenfreundlicher machen. "Hundertwasser ist frühzeitig für ein Umdenken auf dem Gebiet der Ökologie eingetreten und hat das eindringlich formuliert", sagt Fürst. Wie, das wird auch das Buch "Hundertwasser für die Zukunft" zeigen, das im März bei Hatje Cantz erscheinen wird, und Zitate aus 50 Jahren Reden, Schriften, Manifesten, Briefen und öffentlichen Aktionen von Hundertwasser versammelt. Manche vergleichen ihn jetzt schon mit Greta Thunberg. Zeit, seine Ideen wiederzuentdecken.

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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