Großformat:Brief an junge Leser

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Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger war dafür bekannt, dass sie ihre jungen Leser ernst nahm. Hier erklärt sie japanischen Kindern, warum sie Herzklopfen hat, wenn sie an diese denkt.

Von Roswitha Buddeus-Budde

Christine Nöstlinger vermied den Kontakt mit ihren Lesern. Sie scheute die Öffentlichkeit, auch Lesungen versuchte sie immer wieder abzusagen und Kinderbriefe, besonders wenn sie im Klassenverband geschrieben waren, wurden oft von ihr nicht beantwortet. Sie hoffte dann immer, dass die Schulklasse im Lehrplan schon fortgeschritten war und ihre Antwort zu spät kam. Außerdem war sie der Meinung, dass sie mit ihren Büchern, mit ihren Kolumnen - lange Zeit täglich in der Kronen Zeitung und einer Morgensendung im ORF - genug von sich und ihrer Sicht auf die Welt preisgab. Am 29. Mai 1981 aber schickte sie einen Brief an Kinder in Japan, die ihr Buch "Konrad oder das Kind aus der Konservenbüchse" lesen wollten.

Für die "sehr geehrten japanischen Kinder" wie sie schrieb, machte sie also eine Ausnahme. Ihr Buch erzählt die Geschichte des Instantkindes Konrad, das abgerichtet und wohlerzogen versehentlich bei der chaotischen Frau Bartolotti abgeliefert wird und nun das Bravsein wieder verlernen muss. Dieses Spiel mit der Lust an der Anarchie und der Durchsetzung kindlicher Selbstbestimmung - neben "Die feuerrote Friederike" und "Hugo, das Kind in den besten Jahren" ihr Lieblingsbuch - wurde von Christine Nöstlinger, die Ende Juni mit 81 Jahren starb, ihr größter internationaler Erfolg. Es zählt inzwischen zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur.

Nöstlingers Brief hat nichts Ranschmeißerisches. "Ich kenne euch ja überhaupt nicht." Ihr Leben lang wehrte die Autorin sich gegen die platte Etikettierung, ein Anwalt der Kinder zu sein: "Weil ich ja Kindern bloß Geschichten aus ihrem Alltag erzählte, ohne sie zu belügen und ohne die Wirklichkeit zurechtzubiegen. Allerdings, und das war mein einziger spezieller Anspruch an die Kinderliteratur, nur die Geschichten zuzulassen, die Sehnsucht wecken, Hoffnung zulassen und Möglichkeitssinn nicht ausschließen", sagte Nöstlinger an anderer Stelle.

"Sprache kann zum Lachen und zum Weinen bringen, Sprache kann trösten, kann streicheln, kann das Gefühl von Geborgenheit geben, kann bewirken, dass man sich luftballonfrei fühlt." Besonders in ihren Dialogen fand sich Nöstlingers typische Sprache, konnte sie ihre Liebe zum Coolen und dem schwarzen Humor, den Jugendliche so mögen, ausleben. Auch wenn sich ihre Weltsicht in ihrem großen Œuvre veränderte, sie es bald ablehnte, die Kinder in ihren Büchern nach den Idealen der 68er für eine neue Gesellschaft zuzurichten und manche Rezensenten glaubten, sie habe inzwischen keinen "Biss mehr", hatte sie sich trotzdem ihren aufklärerischen-emanzipatorischen Blick bewahrt. Sie nannte ihre Bücher "Geschichten zum Sich-besser-Auskennen im Leben, zum Mitleiden und zum Mitfreuen, auch zum Trost."

Jenseits jeder Ideologie war Nöstlinger der festen Überzeugung, dass die leidvollen Erfahrungen, die mit Kindheit auf der ganzen Welt verbunden sind, nur zu ändern waren, wenn die Erwachsenen endlich beginnen, "Erziehung sein zu lassen. Hören wir auf, Kinder unentwegt zu formen und zu stutzen, und was alles Erziehung sonst noch sein mag. Daraus lernt ein Kind nicht, das nimmt ein Kind nicht an!" Natürlich hoffte Nöstlinger trotzdem auf eine Verständigung, sogar um die halbe Welt bis Japan, mit einem Kichern.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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