Großbritannien:Im Dreckloch

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Slough House heißt die Abfalltonne des britischen Geheimdienstes - Dreckloch. Dort landen alle, die richtig Mist gebaut haben im Dienst. Mick Herron schildert im Roman "Slow Horses", wie einigen dann doch ein Comeback glückt.

Von Fritz Göttler

Es ist Krieg in London, Krieg der Agenten, der professionellen Intriganten. An der Spitze die elegante und resolute Diana Taverner, Vizechefin des MI5, genannt Lady Di. Ihr Kontrahent: Jackson Lamb, Chef im Slough House, einer abgedrifteten Abteilung des MI5. Krieg im Innern, nicht mehr zwischen diversen Geheimdiensten in diversen nationalen Interessen.

"Slow Horses" war 2010 der erste Roman, den Mick Herron über Jackson Lamb und seine Clique geschrieben hat, der erste, der nun auf Deutsch erscheint, mittlerweile gibt es sechs. Slow horses nennen sie verächtlich die meist jungen Agenten um Jackson Lamb, die lahmen Gäule. In England ist die Reihe Kult geworden, das könnte hierzulande ebenfalls passieren.

Das Slough House liegt im Viertel Finsbury, einen Steinwurf von der U-Bahnstation Barbican entfernt, dem großen Londoner Kulturzentrum. Zur Linken gibt es einen Zeitungs-Lebensmittel-Spirituosen-Laden, zur Rechten das chinesische Restaurant "New Empire", dessen Speisekarte langsam vergilbt, sie ist mit Schreibmaschine getippt, Änderungen sind mit Filzstift eingetragen. Die Eingangstür zum Slough House ist ein wenig zurückgesetzt, hat eine uralte schwarze Lackierung. "Eine leere Milchflasche steht schon so lange davor, dass der Efeu sie an den Bürgersteig gefesselt hat." Ein schwarzes Loch, eine düstere Idylle. Slough bedeutet im Englischen Sumpf, Dreckloch, Verkommenheit.

Slough House ist ein Ableger von Regent's Park, wo der britische Geheimdienst MI5 residiert. Dorthin wird abgeschoben, wer sich als Versager erwiesen hat, wen man aber aus verschiedenen Gründen nicht feuern möchte oder kann. Die slow horses, die hier gesammelt wurden, sind die Bleistiftspitzer und die Papierfalter vom Dienst, man hofft, dass eines Tages die Aussichtslosigkeit sie zur Kündigung motivieren kann. Die Gäule selbst geben die Hoffnung nicht auf, eines Tages heimkehren zu können zum Regent's Park.

"Slow Horses" ist voller Fallgeschichten, eine kuriose Mischung aus Ungeschicktheit, Depression, Gschaftelei. Einer der Jungs hat tatsächlich einen Umschlag mit hoch geheimen Informationen in einem Zug liegen lassen, eine andere hatte Alkoholprobleme, und River Cartwright hat mal einen fingierten Testlauf vermasselt, bei dem er einen Terroristen ausschalten sollte in der U-Bahn-Station King's Cross. Sekunden bevor River ihn erreichen konnte, zog der Mann die Reißleine seines Bombengürtels. Das Resultat: "Hundertzwanzig Leute tot oder verstümmelt. Dreißig Millionen Pfund messbarer Schaden. An die zwei Komma fünf Milliarden Einbußen in der Tourismusindustrie." Natürlich ist diese Bilanz - es war ja nur ein Test - rein hypothetisch, aber alles summiert sich dennoch, mit virtueller Exaktheit, zu Rivers Versagen. Nur durch Fürsprache seines Großvaters, der ein großer Ex-Geheimdienstler ist - O. B. Nennen sie ihn respektvoll, Old Bastard -, kann er im Dienst bleiben, im Slough House. Und dort die Abfalltonne eines verdächtigen Subjekts durchfieseln. Die Hälfte der Zukunft, so das Motto des Secret Service, liegt in der Vergangenheit vergraben.

In den Lamb-Jüngern brennt aber immer noch das Agentenfeuer. Sogar an eine Flash-Box macht sich River kühn - eine Spezialtasche, die, wenn man sie ohne Codewort öffnet, mit einem Magnesiumblitz explodiert. Mit der linken, der weniger wichtigen Hand ... Die Chance für die slow horses kommt, als ein paar Typen einen jungen Pakistaner kidnappen und im Internet verkünden, sie würden ihm den Kopf abschneiden, vor laufender Kamera.

Mick Herron steht mit seiner erzählerischen Ironie auf der Seite der Underdogs. Sie sind Familie, und jeder Agentenroman läuft irgendwann auf eine Familiengeschichte hinaus. Lamb ist ein angenehm unwürdiger Vater. Seine Raffinesse versteckt sich in einem monströsen Körper - Plauze, unrasierte Hängebacken, schmutzigblondes Haar, aus der hohen Stirn zurückgekämmt. Ein wandelndes Pulverfass. Wie Timothy Spall sagt einer, der Wurmschwanz aus den Harry-Potter-Filmen. Ein heißer Kandidat für Falstaff, denkt River Cartwright. "Eine Rolle, die Timothy Spall mal ins Augen fassen sollte."

Das Tragische kippt bei Mick Herron immer gleich ins Absurde. Agentenslapstick. Die drei Kidnapper werden in der Imagination des Entführten zu den drei Stooges, der anarchischen Komikertruppe des amerikanischen Kinos.

Mick Herron: Slow Horses. Ein Fall für Jackson Lamb. Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. Diogenes Verlag, Zürich 2018. 472 Seiten, 24 Euro.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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