Gropius-Meisterhäuser in Dessau:Quadratur des Traums

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Sieht aus wie ein Thomas Demand, ist aber aus Beton und von Bruno Fioretti Marquez: Die neue Direktorenvilla in Dessau. (Foto: Bauhaus/Christoph Rokitta)

Die Meisterhaussiedlung von Bauhaus-Gründer Walter Gropius in Dessau ist dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Jetzt wurden zwei Häuser wieder aufgebaut. Sie schaffen es, an die Vergangenheit zu erinnern - ohne das Heute zu negieren.

Von Laura Weißmüller

Ist das ein Haus? Ein Kubus mit messerscharf gezogenen Kanten und blinden Öffnungen, die aussehen als hätten sich ein paar Bausteine aus dem Computerspiel Tetris selbständig gemacht. Es wirkt wie ein geometrisches Muster, das über die hellgraue Betonfassade wandert, bis der Kopf anfängt, den schwarz umrandeten Durchbrüchen Funktionen zuzuordnen. Das Quadrat im Erdgeschoss könnte das nicht ein Fenster sein? Und die mehrfach gedrehte L-Form im ersten Stock ist das vielleicht ein Fenster mit angeschlossener Tür - nur: Wo ist der dazugehörige Balkon und passt das überhaupt zu dem, was sich im Inneren dieses Baukastenspiels aus Rechteck und Quadrat ereignet?

Es hat etwas Gespenstisches, wie das Auge fortwährend versucht, Widerhaken der Erinnerung in das zu setzen, was man da hinter der rekonstruierten weißen Mauer und zwischen den hochgewachsenen grünen Fichten als Auftakt des von Walter Gropius 1925 entworfenen Ensembles der Dessauer Meisterhäuser so scharfkantig klar umrissen vor sich sieht - und bei der Betrachtung doch immer wieder abrutscht, ins Ungefähre, Unscharfe.

Das erinnert an das, was ein Maler wie Luc Tuymans mit seinen Bildern schafft oder der Künstler Thomas Demand aus Papier: eine diffuse Ahnung, die sich jedoch nicht fixieren lässt. Eine Schimäre aus Beton. Ein Traum von einem Haus - und der Gegenentwurf zur vergangenheitsseligen Rekonstruktion unserer Tage, die ganze Schlösser und Innenstädte mit einem Eifer originalgetreu wiederaufbaut, als gelte es vergessen zu machen, was dazu geführt hat, dass die mal in Schutt und Asche lagen.

Das neu aufgebaute Meisterhaus von Walter Gropius (1883-1969), das Original wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört. (Foto: dpa)

Endlich knüpft die Gegenwart an das an, was das Bauhaus geschaffen hat

Die Kombination aus Traum und Bauhaus verheißt zunächst nichts Gutes. Denn die Schule, die sich in Weimar formierte und ab 1925 in Dessau dazu aufmachte, das moderne Leben zu revolutionieren, bevor die Nazis sie nach Berlin vertrieben und 1933 das Experiment endgültig beendeten, ist längst zum Stil-Lieferanten für die Bauindustrie verkommen: Weißer Kubus mit Flachdach? Eindeutig ein gut zu verkaufendes Traumhaus und ganz klar in der direkten Nachfolge des Bauhauses zu sehen - egal ob der Würfel nun in der Neubausiedlung neben dem Säulenverhau alias mediterraner Villa steht oder mutterseelenallein auf grüner Wiese.

Dass Walter Gropius 1919 tatsächlich etwas ganz anderes im Kopf hatte, als er in Weimar das Bauhaus gründete, nämlich eben keinen Stil zu schaffen, sondern etwas viel Fundamentaleres, eine neue Art zu denken, eine die der damals immer mehr aus den Fugen geratenden Welt gerecht werden sollte, dabei die ganze Gesellschaft umfasste und nicht nur die zahlende Elite, hat in dieser Rezeption natürlich keinen Platz.

Dafür in den zwei neu aufgebauten Meisterhäusern in Dessau, der Direktorenvilla von Gropius und der Doppelhaushälfte für Laszlo Moholy-Nagy. Denn das Berliner Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez hat tatsächlich - und trotz jahrelang heftig ausgeführten Glaubenskriegs zwischen den vermeintlichen Fronten und der Frage, welche Zeitschicht denn sichtbar gemacht werden sollte, Bauhaus, DDR oder Gegenwart - den Balanceakt hinbekommen, an die Vergangenheit zu erinnern ohne das Heute zu negieren. Damit gelingt es, die Gegenwart endlich daran anknüpfen zu lassen, was das Bauhaus in den wenigen Jahren seiner Existenz geschaffen hat: eine schier unerschöpfliche Ideenschatztruhe und einen Vorschlag für einen neuen Umgang mit unserem Alltag, der in seiner abstrakten Form tatsächlich bis heute seine Gültigkeit bewahrt hat.

Das klingt viel komplizierter als es ist. Denn das "Prinzip der Unschärfe" wie es die Architekten im Entstehungsprozess genannt haben und die Stiftung Bauhaus heute mit seltsamen Nachdruck als "städtebauliche Reparatur" verstanden wissen will, funktioniert eigentlich ganz simpel: Die Kubatur der neuen Direktorenvilla und der Doppelhaushälfte Moholy-Nagy, die an das Haus Feininger anschließt, entspricht exakt den Umrissen der Häuser, die am 7. März 1945 englische Bomber bis auf das Sockelgeschoss der Villa restlos zerstört haben. Auch der Eingang, die Fenster und alle Treppen sind an bauzeitlicher Stelle angebracht.

Gropius Versuch, für die Meisterhäusersiedlung einen Baukasten im Großen zu verwenden und sämtliche Gebäude aus ineinander verschachtelten kubischen Volumen zu errichten, bleibt durch den monolithischen Abguss aus Dämmbeton also von außen lesbar. Was fehlt sind jedoch alle maßstabgebenden Details. Es gibt keinerlei Fenstergriffe, Türrahmen oder Farben. Das führt zu diesem irritierenden Changieren zwischen Erinnerung an etwas, das unwiederbringlich verloren ist, und noch nie Gesehenem.

Im Inneren nun haben die Architekten Decken und Wände weggelassen, die die zerbombten Häuser ursprünglich hatten, und damit etwas komplett Neues geschaffen. Hier hat das Auge keine Chance, sich an der Vergangenheit festzuhalten. Es gibt keine originalgetreu rekonstruierten farbigen Handläufer wie in den Doppelhaushälften nebenan und es stehen auch keine Stahlrohrmöbel herum. Wo Laszlo Moholy-Nagy, einer der ersten Multimediakünstler des 20. Jahrhunderts, seine Lichtexperimente unternahm, ist genauso wenig räumlich zu verorten, wie an welchem Ort Gropius in der Direktorenvilla seine spießige Kakteensammlung aufgestellt hat oder sein großbürgerliches Badezimmer mit den marmornen Waschbecken installieren ließ. Auch wo Hannes Meyer, der Nachfolge von Gropius, sein Bett aufschlug, bevor schließlich Mies van der Rohe fließende Räume schuf und sie mit seinen fast klinisch schlichten Möbel ausstattete, bleibt unklar. Das alles fehlt und weil es fehlt, kann in den offenen Innenräumen der beiden Häuser das Heute einziehen.

Im Innern der neuen Meisterhäuser hat das Auge keine Chance, sich an der Vergangenheit festzuhalten. (Foto: dpa)

Ganz praktisch funktioniert das mit einer weiß verputzten Holzkonstruktion, die über Stege, Balkone und Brücken durch das Haus führt und den Besucher den Raum aus verschiedenen Perspektiven erfahren lässt. Wie ein überdimensionales Möbel, das die Architekten ins Innere der historischen Kubatur gestellt haben und in dem alles verborgen ist, was ein moderner Ausstellungs- und Kulturbetrieb heute so braucht - in der Direktorenvilla sollen die Besucher der Meisterhäuser empfangen werden und es eine Schau zum Ensemble geben, ins Haus Moholy-Nagy zieht die Kurt-Weill-Gesellschaft ein. Eine schmale Fuge trennt dabei stets das Grau des Betons von dem Weiß des Artefakts. Beide Zeitschichten begegnen sich, aber sie stoßen nie aufeinander. Die Bauhaus-Historie beginnt ein Gespräch mit der Gegenwart, auf Augenhöhe. Das gab es noch nie.

Der Graben zwischen Rekonstruktion und abstrakter Erinnerung ist nicht tief

Dieser spannungsreiche Dialog wird noch verstärkt: Zum Einen durch die je nach Lichteinfall und Tageszeit in ihrer Transparenz wechselnden opaken Senkgläser, die das Außen zum ahnungsvollen Schattenspiel reduzieren. Zum Anderen durch den Eingriff des Künstlers Olaf Nicolai. Er hat für seine permanente Wandarbeit "le pigment de la lumière" den Putz als etwas Eigenständiges aufgefasst und damit die Holzkonstruktion gestaltet. Wie ein geometrische Ornament spannt sich die Arbeit nun über das Artefakt. Die vier unterschiedlichen Sorten Putz verweben sich mit dem Licht zum abstrakten Liniengeflecht, das sich, je nachdem wo der Betrachter steht, verändert. Was wie ein willkürlich gesetztes Muster wirkt, ergibt sich dabei aus den inneren Linien der Häuser, quasi aus dem Grid der Gebäude. Das macht den Innenraum vollends zur Wahrnehmungsmaschine.

Egal ob nun Rekonstruktion oder städtebauliche Reparatur: Die neu aufgebauten Meisterhäuser in Dessau zeigen, wie ein Umgang mit der architektonischen Vergangenheit aussehen kann, ohne die eigene Gegenwart zu leugnen. Dass diese zwei Gebäude sich dem Besucher nur vollständig erschließen, weil sie an die originalgetreu rekonstruierten Doppelhaushälften von Feininger, Kandinsky und Klee sowie Muche und Schlemmer anschließen, man dort also per exakt erforschten Wandfarbe und Raumgrößen, erfährt, wie die Meister gelebt haben, könnte man als Beweis nehmen, dass der Graben zwischen originalgetreuer Rekonstruktion und abstrakter Erinnerung gar nicht so tief ist, ja sich beide Seiten sogar sinnvoll ergänzen können.

Und noch etwas zeigen die Häuser: Wie ergiebig es ist, das Bauhaus mit dem Heute zu konfrontieren. Wer das nicht tut, kann noch so viele Vitrinen und Museen - ganz egal wo - für die Werke von Walter Gropius, Marcel Breuer und Oscar Schlemmer errichten, er wird dem Erbe nicht gerecht. Philipp Oswalt, der mit seiner so klug wie kritischen, letzten Ausstellung am Bauhaus die Janusköpfigkeit der Moderne anhand von Dessau auffächert, hat das versucht. Er ist über die erschreckend kurzsichtige Kulturpolitik von Sachsen-Anhalt gestolpert. Die neue Bauhaus-Chefin, die anders als Bundespräsident Joachim Gauck nicht zur Wiedereröffnung der Meisterhäuser am Freitag kam, sollte an den Dialog mit der Gegenwart anknüpfen - und zwar zusammen mit den Bauhausstandorten Weimar und Berlin. Wer sich für das Bauhaus interessiert, sollte endlich die Chance bekommen, es in seiner Vielfältigkeit und auch in seiner Widersprüchlichkeit kennenzulernen. Mit einer Heiligsprechung unter Glas ist keinem geholfen.

© SZ vom 17.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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