Wo er das Selbstbewusstsein hernahm, weiß keiner, aber er hat einmal erzählt, wie sein Vater den Nachbarn beim Kriegsende 1945 zurief, dass sie jetzt fällig würden, worauf sich alle Fensterläden in der Siedlung schlossen. Hermann L. (für Ludwig) Gremlizas Vater war leitender Angestellter bei Mercedes, der Sohn zelebrierte das Stuttgarter Honoratiorenschwäbisch in Hamburg St. Pauli mit einem Genuss, der die Einheimischen auf ihre nachgeordneten Plätze verwies. Dieser Vater war es auch, der dem Sohn (wie der in der Todesanzeige verriet) jahrelang die Zeitschrift mitfinanziert hatte, die sich immer weniger selber tragen wollte.
Die Zeitschrift, das war konkret, von Ende der Fünfziger- bis Ende der Sechzigerjahre das Verständigungsorgan des Aufbruchs. Bis 1964 wurde sie von der DDR subventioniert und von den illegalen KPD-Mitgliedern Ulrike Meinhof und Klaus Rainer Röhl betreut. Nach der Befreiung vom Ost-Geld musste Sex als "Treibstoff" (der ständige Mitarbeiter Peter Rühmkorf) her, aber die Auflage sackte dennoch ab.
Gremliza wurde Redakteur beim "Spiegel", sogar Ressortleiter
1974 rettete Gremliza konkret aus der geistigen und finanziellen Konkursmasse ihres Gründers Röhl und wollte die Zeitschrift zu einem Kampfblatt machen, das der in den Siebzigern industrieanzeigendicke Spiegel immer weniger sein wollte. Das Unternehmen sollte seine Rache sein: Rudolf Augstein hatte den Chefredakteur der Tübinger Studentenzeitschrift Notizen 1966 zu der Gruppe geholt, die im aufgewühlten Berlin eine Anti-Springer-Zeitung aufbauen sollte.
Daraus wurde nichts, aber Gremliza Redakteur beim Spiegel, sogar Ressortleiter. Als er mit anderen die von der sozialliberalen Koalition und im Spiegel propagierte Mitbestimmung auch für die Redaktion forderte, wurde er rausgeschmissen; lieber umging Augstein die Mitbestimmung und schenkte den Mitarbeitern die Hälfte seines Blattes.
Gremliza, aus der Anonymität des Spiegel befreit, wurde ein Star, seine literarischen Qualitäten wurden offenbar. (Nachzulesen beispielsweise in dem Suhrkamp-Band "Haupt- und Nebensätze".) Als selbstbewusster Wiedergänger von Karl Kraus geißelte er die Kollegen und konnte sich, keineswegs weniger kleinlich und oft ähnlich brillant wie sein Vorbild, über falsche Kommata und die Katachresen in Theo Sommers Leitartikeln ebenso erregen wie über die Korruptheit seines ehemaligen Cuneo-Kneipenbruders Stefan Aust. Zwei Autoren verlieh er eigenhändig den Karl-Kraus-Preis, der allerdings an die Bedingung geknüpft war, dass sie nie wieder ein Wort schreiben würden: Fritz J. Raddatz und Günter Wallraff.
Da er nie müde wurde, auf alte Freunde und vorzugsweise Genossen einzudreschen (bis 1989 war Gremliza seltsamerweise Mitglied der Hamburger SPD, die sich von der lokalen CDU allenfalls durch noch größere Staatstreue unterschied), musste er eines Tages auch enthüllen, dass niemand anderes als er, Gremliza, Wallraffs berühmte Bücher geschrieben, sie jedenfalls in druck- und lesbare Form gebracht hatte.
Die Wüste um den einsamen Rufer vergrößerte sich mit den Jahren immer mehr
Während die Frankfurter Straßenkämpfer Joschka Fischer und Thomas Schmid heiße Zähren um die im Gefängnis sterbenden Kombattanten von der RAF vergossen, zog Gremliza dem Sentiment die messerscharfe Analyse vor: "Ulrike Meinhofs Weg in den Untergrund begann, als Sozialdemokraten einen Goebbels-Referenten zum Bundeskanzler wählten." So nämlich hob sein Nachruf auf seine Vorgängerin in der konkret-Chefredaktion an.
Wie Ulrike Meinhof brillierte Gremliza als Kolumnist und mähte mit seinem messerscharfen Verstand alles nieder, was rechts von ihm stand und dumm genug war, sich öffentlich zu äußern. Am Ende, das ist leider auch wahr, lohnte bei konkret fast nichts mehr die Lektüre außer seiner Stilblütensammlung "Gremlizas Express", mit der er die jeweilige Ausgabe beschloss. In den benachbarten Redaktionen ist schon jetzt das große Aufatmen zu hören, weil ihnen jetzt keiner mehr auf die Finger haut.
Wie sich's für einen leidenschaftlichen Journalisten gehörte, verfeindete er sich mit allen so gründlich, dass die Auflage von konkret zuletzt noch unter die der von ihm regelmäßig (und nicht unberechtigt) als Kinder-FAZ geschmähten tageszeitung fiel. Die Wüste um den einsamen Rufer vergrößerte sich mit den Jahren immer weiter. Gremliza wurde Anführer der "Anti-Deutschen" und entwickelte gegen die für grundsätzlich antisemitisch verdächtigten Linken eine späte Liebe zu Israel.
Als Chefredakteur war Gremliza aber ebenso großzügig wie als Kolumnist streng. Mit wahrer Freundesliebe betreute er den Endreimfanatiker Horst Tomayer, förderte junge Talente wie Dietmar Dath und Gerhard Henschel, ließ Otto Köhler schreiben und döberte dann wieder über das Deutschland, mit dem er zeitlebens nicht glücklich werden konnte.
Hermann L. Gremliza, der große Stilist, der gnadenlose Polemiker, der zärtliche Freund ist am Freitag im Alter von 79 Jahren gestorben.