Geschichte:Ewige Drohung

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David Armitage: Bürgerkrieg. Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2018. 319 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

Wer allzu leichtfertig vom "Staatsversagen" spricht, der ruft den Ausnahmezustand herbei: Das Buch des britischen Historikers David Armitage über den Bürgerkrieg seit der Antike kommt zur rechten Zeit.

Von Gustav Seibt

Was Bürgerkriege bedrohlicher mache als andere Kriege, erklärte Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert, sei der Umstand, "dass jeder von uns im eigenen Haus Wache stehen muss". Das ist einfach gesagt, aber wie immer bei Montaigne trifft es den entscheidenden Punkt. Der Schrecken des Bürgerkriegs besteht in der Aufhebung des Sicherheitsversprechens einer schon erreichten Ordnung. Das "bellum civile", den "bürgerlichen Krieg" (wie ihn Goethe noch nannte) kann es erst geben, wenn die Civitas, die Bürgerschaft, der Staat schon konstituiert war. Er bedeutet einen Rückfall. So wird er zum Schreckgespenst staatlicher Ordnung, als Drohung, die hinter dem Gewaltmonopol immer noch lauert. Dieses müsste man gar nicht postulieren, wenn Gewalt nicht fortwährend im Raum stünde.

Deshalb ist auch die Diagnose, ein Bürgerkrieg bedeute die Rückkehr in den Naturzustand, irreführend. Für Thomas Hobbes, den englischen Staatstheoretiker, der im 17. Jahrhundert die Theorie der Souveränität ausgearbeitet hat, war das Konzept des Bürgerkriegs ein Widerspruch in sich selbst, eben weil Bürgerschaftlichkeit gar nicht mehr existierte, wenn er ausgebrochen war. Man könnte es auch anders formulieren: Die Rückkehr in den Naturzustand ist immer furchtbarer als der ursprüngliche Naturzustand. Denn der Krieg aller gegen alle, in dem nach Hobbes der Naturzustand besteht, findet beim Bürgerkrieg in den rauchenden Ruinen vorangehender Ordnung statt. Deshalb ist er ein Menetekel.

Die knappe, gut argumentierte Ideen- und Begriffsgeschichte zum Bürgerkrieg, die der britische Historiker David Armitage vor anderthalb Jahren vorgestellt hat ( SZ vom 24. 1. 2017), findet nun ihren Weg nach Deutschland, zu einem passenden Zeitpunkt. Armitage beginnt bei den Griechen, geht weiter zum römischen Fluch des Brudermords, der späteren ersten Begriffsbildung in den Bürgerkriegen der römischen Republik und endet bei Versuchen der Verrechtlichung im heutigen Kriegsrecht. Die Wahl des Begriffs hat unvermeidlich politische Folgen. So macht die Vorstellung eines "Bürgerkriegs" Rebellen oder Sezessionisten zu Kriegsparteien. Das syrische Regime Assads spricht im aktuellen Konflikt konsequent von "Terroristen", die Lesart von einem syrischen "Bürgerkrieg" kommt aus dem Westen.

Die alten Griechen kannten das Konzept noch nicht. Krieg, Polemos, war der Kampf mit äußeren Feinden. Thukydides, der in einem berühmten Kapitel des "Peloponnesischen Kriegs" den inneren Kampf von Kerkyra minutiös als Prozess der Eskalation sezierte, sprach von "Stasis", "Aufstand" (lateinisch "seditio"). Etymologisch ist das vom Beharren auf dem eigenen Standpunkt herzuleiten. Stasis ist eine blutige Form von Unversöhnlichkeit, dynamische Feindschaft. Erst die Römer des ersten Jahrhundert vor Christus, in dem von charismatischen Feldherren gelenkte Söldnerheere aufeinander trafen, entwickelten das Konzept des "bellum civile", des veritablen Krieges innerhalb der Verfassungsordnung. Er entstand aus Parteistreitigkeiten, politischen Mordanschlägen, zog aber bald den ganzen Weltkreis des Imperiums ins Verderben, und er musste in einer Monarchie beruhigt werden. Rückfallgefahr bestand immer, bei jedem Thronwechsel.

Daran knüpfte die Frühe Neuzeit an, die mit länderübergreifenden konfessionellen Konflikten geschlagen war. Sie wurden das Modell fürs Phantasma des "Weltbürgerkriegs" im 20. Jahrhundert, der ebenfalls quer durch die Staatenwelt gegangen sein soll. Nicht umsonst knüpften die Denker von Souveränität, Ausnahmezustand und Notstandsgesetzgebung, allen voran Carl Schmitt, so gern an die Staatstheoretiker des 17. Jahrhunderts an. Armitage erweitert das Bild durch die Dialektik von "Bürgerkrieg" und "Revolution" seit den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts. Die Vorgänge in Nordamerika entwickelten sich von einer Revolte über den Bürgerkrieg zur erfolgreichen, zukunftsträchtigen Revolution. Ob man die Konflikte in Frankreich seit 1789 als "bürgerlichen Krieg" oder als "Revolution" beschrieb, entschied über die Legitimität der gewaltsamen Neuerungen.

Diese gewaltigen Vorbilder sollten davor warnen, das B-Wort allzu freigiebig zu verwenden. Hans Magnus Enzensbergers in den neunziger Jahren entwickeltes Konzept vom "molekularen Bürgerkrieg", der mit dem alltäglichen Vandalismus im Kleinen beginnt, erfreut sich gerade einer erstaunlichen Karriere bei Denkern der Rechten. Enzensbergers Beschreibungen sind suggestiv, leicht verführen sie daher zu Diagnosen vom "Staatsversagen". Wer nicht einzelne Rechtsverstöße kritisiert, sondern gleich von der "Herrschaft des Unrechts" redet, ruft eigentlich den Ausnahmezustand aus. Das erzeugt die hysterische Stimmung, in der jeder Mordfall zum Anlass für "Widerstand" genommen werden kann, in der Trauer und berechtigte Empörung zu medienwirksamen Unruhen auswachsen. Der Bürgerkrieg ist nicht nur die ewige Drohung hinter der Ordnung, man kann ihn mit enthemmter Rede auch herbeifantasieren.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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