Gemischte Gefühle: Nostalgie:Sonderfall "Ostalgie"

Im Laufe der Zeit rückte die Medizin von der Wahrnehmung der Nostalgie als alpine Söldnerkrankheit allmählich ab. Trotzdem betrachtete man Nostalgie nicht als etwas Positives, sondern setzte sie gerne mit heftigem Heimweh gleich. Sie galt als eine der vielen Erscheinungen von "Melancholie", mit der man bis weit ins 20. Jahrhundert hinein viele Formen von Depression oder depressiver Verstimmung erklärte.

Rolling Stones vocalist Mick Jagger performs during a concert of the band's 'A Bigger Bang' European Tour in Madrid

Heute schafft der Rolling Stones - Sänger, was dem Durchschnittsnostalgiker nicht geling: die Vergangenheit wiederzubeleben.

(Foto: REUTERS)

Diese Wahrnehmung hat sich stark verändert. "Während Nostalgie jahrhundertelang als psychische Krankheit betrachtet wurde", befindet der Nostalgieforscher Constantine Sedikides, "erscheint sie heute als eine grundsätzliche menschliche Stärke."

Die Forscher um Tim Wildschut fanden heraus, dass Menschen, die über nostalgische Gefühle erzählen, wesentlich häufiger von Glück, Wärme, Heimat, Geborgenheit und Ähnlichem redeten, als dass sie negativen Empfindungen Ausdruck gaben. In diesem Sinne ist Nostalgie ein durchaus positives Gefühl, eine "mit Glück verbundene Emotion" (Wildschut), die allerdings auch Traurigkeit hervorrufen kann, weil man erkennt, dass manches von dem, woran man nostalgisch denkt, unwiederbringlich ist.

In Deutschland wird gerne auch von der "Ostalgie" als einem Spezialfall der Nostalgie geredet: Der ehemalige SED-Kader und VEB-Betriebsleiter sitzt als Rentner in Strausberg und träumt sich zurück in jene Zeit, als er eine vermeintlich florierende Fabrik befehligte, alle Leute Arbeit hatten und nur die notorischen Querulanten Reisefreiheit forderten. Der Mann ist zufrieden mit dem, was war und traurig darüber, dass selbst Gregor Gysi diese Zeiten nicht zurückbringen wird.

Jenseits der grundsätzlichen Qualifikation der Nostalgie interessiert die Psychologen, wann Menschen nostalgische Gefühle entwickeln, was also letztlich Nostalgie hervorruft. Der Nostalgiker weiß das selbstverständlich: Man denkt meistens dann daran, dass früher manches besser war, wenn man heute unglücklich ist. Diese Sehnsucht nach dem besseren Gestern kann relativ klare Ursachen haben: Man fühlt sich alleine, weil einen der Partner verlassen hat oder man keinen findet; man wurde vom Chef gekränkt; man leidet an einer Krankheit. In solchen Situationen hilft die Erinnerung, das Nacherleben einst genossener Gefühle, das Imaginieren von besonders schönen Situationen, in denen man stark, geliebt oder geborgen war. Jenseits dieser konkreten Anlässe kann aber auch eine allgemeine dunkle Stimmung Nostalgie hervorrufen: Es geht mir schlecht, aber früher ging es mir besser. Wie war das eigentlich, als es mir besser ging?

Schild gegen die Dunkelheit

Nostalgie ist in diesem Sinne auch ein Schild gegen die Dunkelheit der beginnenden Depression. Wenn man die Kraft aufbringt, sich gewissermaßen mit dem Kopf und dem Herzen daran zu erinnern, dass es schon einmal besser war, dann bedeutet dies auch, dass es in absehbarer Zeit wieder besser werden kann. Wahrscheinlich wird es nicht viele Menschen geben, die gezielt nostalgisch werden, um sich der Niedergeschlagenheit zu entziehen. Trotzdem kann das Nacherleben besserer Zeiten das Selbstbewusstsein zumindest in kleinen Krisen stärken.

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