Gehört, gelesen, zitiert:Liebeserklärung an die amerikanische Post

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Wie John Updike seine Redezeit auf einen hochpolitisierte PEN-Kongress nutzte, um den U.S. Postal Service dafür zu preisen, dass er ihm täglich Schätze ins Haus trug.

Von Willi Winkler

Im Januar 1986, tief im vergangenen Jahrhundert, traf sich der Internationale PEN-Club in New York. Nie gab es eine erlauchtere Runde von Autoren und Autorinnen, von Nobelpreisträgern und solchen, die es bald werden sollten: Günter Grass, Saul Bellow, Nadine Gordimer, Mario Vargas Llosa, Grace Paley, Susan Sontag, Kōbō Abe, Claude Simon, Salman Rushdie, Toni Morrison und Amos Oz waren dabei, dazu die Politiker Bruno Kreisky aus Österreich, George Shultz aus den USA und Pierre Trudeau aus Kanada, das Ganze organisiert und geleitet vom Lokalmatador Norman Mailer. Thema der Tagung war die weitreichende rhetorische Frage "Besitzt der Staat Fantasie?" Erwartungsgemäß sprachen die Teilnehmer vor allem den USA jedwede Fantasie ab. Grass forderte: "Wir müssen wieder lernen, Anarchisten zu sein!", kritisierte die US-Außenpolitik in Lateinamerika und verwies auf die Armut bei den Schwarzen in der South Bronx. Bellow empörte sich über das, was er als Grass'sches Ressentiment gegen die USA verstand und hielt ihm vor, er trauere einer literarischen Volksfront nach, wie sie in den Dreißigern gescheitert sei. Die Gründerväter der USA hätten nur für das wirtschaftliche Wohlergehen und die individuelle Freiheit der Bürger sorgen wollen und keinen Gedanken an Kunst und Kultur verschwendet, das sei Privatsache. Unbeeindruckt von der politischen Debatte schritt John Updike ans Mikrofon und sang ein Loblied , nicht auf den amerikanischen Staat, aber auf die staatliche Post.

"Es gab einen Schnittpunkt zwischen meinen höchstpersönlichen Hoffnungen und Träumen und den Bestrebungen und Vorkehrungen des Staates, und das war die Post. Die Postboten, die ich in meiner kleinen Stadt alle mit Namen kannte, brachten all die Zeitschriften, die Zeitungen und Magazine ins Haus, die mir die Welt präsentierten, in der ich mir meine Zukunft vorstellte. Damals kostete eine Briefmarke drei Cent, und ich schrieb an große, ferne Männer, an Zeichner und Schriftsteller, von denen mich einige, wofür ich ewig dankbar sein werde, sogar einer Antwort würdigten. Jeden Tag konnte die Post einen Schatz bringen, und das gilt für mich bis heute. Ich schicke Manuskripte weg und bekomme als Antwort manchmal Lob und Geld. Wegen der Post der Vereinigten Staaten mit ihren unendlich vielen Wegstrecken und Verzweigungen, die zu diesem System gehören, ganz zu schweigen von der grundsätzlichen Redlichkeit, Effizienz und Nichteinmischung ihrer vielen tausend Mitarbeiter, kann ich so leben, wie ich lebe, und so arbeiten, wie ich es tue. Nie kann ich an einem blauen Briefkasten vorbei gehen, ohne einen Funken von Wärme und Staunen zu spüren, voller Dankbarkeit, dass dieser komplexe flächendeckende Service zu meinem Nutzen betrieben wird."

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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