Gefährliche Kunst:Tücken des Trottens

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Haltungs-Experten warnen vor dem langsamen Stop-and-go im Museum zwischen Picasso und Perugino. Das Erwandern der Kunst führt zwar mitunter zur Erleuchtung, geht aber leider auch auf den Rücken. Die Krankheit heißt "Museum walk".

Von Johan Schloemann

Finden Sie es anstrengend, ins Museum zu gehen? Also jetzt nicht wegen inhaltlicher Zumutungen - sondern schon rein physisch? Viele Museumsbesucher, und keineswegs nur die älteren, klagen am Ende eines Ausstellungsparcours über Schmerzen im unteren Rücken. Auch wenn die meisten dies wohl lieber nicht laut tun, um ihren Bildungseifer nicht zu entwerten, sondern nur einen kleinen Seufzer der Erlösung ertönen lassen, wenn sie nachher im Museumscafé in den Stuhl plumpsen.

Die Krankheit hat auch einen Namen: "Museum walk"

Nun ist der Schuldige gefunden: Er heißt "Museum Walk". So nennt der in New York praktizierende Haltungstrainer Mark Josefsberg die spezifische Gangart beim Hin- und Herwandern zwischen Picasso und Perugino. Josefsberg hat deshalb das Museumsgehen einer Untersuchung unterzogen, wie das Online-Kulturmagazin Hyperallergic berichtet. Es ist ein sehr langsames, stockendes Trotten ohne Schwung in den Armen; und wenn wir die Bilder, auch noch so kurz, genauer betrachten sowie die daneben angebrachten Beschriftungen, dann richten sich Kopf, Nacken und Oberkörper oft zu verspannt nach unten. Dies führe, warnt Josefsberg, zu einer versteiften Haltung und "zu einer entsprechenden mentalen Einstellung".

An letzterem Punkt sieht man, dass dieser Haltungstrainer einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Er ist Anhänger der sogenannten Alexander-Technik, einer Schule gegen Verspannung und für richtiges Atmen, die in den 1930er-Jahren von dem australischen Shakespeare-Schauspieler F. M. Alexander entwickelt und auch von dem amerikanischen Pädagogen und Philosophen John Dewey unterstützt wurde.

In diesem Sinne wird davon abgeraten, die visuelle Stimulation und den Bilderhunger im Museum so dominieren zu lassen, dass das Körperbewusstsein ausgeschaltet wird: "Reservieren Sie einen Teil Ihrer Gehirnaktivität für das, was Sie mit Ihrem Körper machen, wenn Sie ein Kunstwerk betrachten." Und so lautet die Abhilfe gegen Museumsschmerzen: beim Gehen die Knie voranstrecken; beim Stehen Gewicht gut verteilen, Knie nicht durchstrecken, sondern beugen; und Kopf nach oben!

Der kulturelle "Habitus", den der Soziologie Pierre Bourdieu als klassenspezifische Distinktion beschrieb, bekommt hier also etwas sehr Handfestes. Orthopädisch allerdings noch nicht ganz erforscht, so erscheint es, sind die Wechselwirkungen zwischen Bildmotiven und Betrachterkörpern im Museum. Was ist mit den Verrenkungen in den Darstellungen von Märtyrern? Oder mit dem Seitenstechen, das man nach mehreren Kreuzigungsszenen verspürt?

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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