Geburtstag:Stimmenmeister

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Von Tölz aus in die Welt: Gerhard Schmidt-Gaden hat einen neuen Knabenchor-Klang geschaffen. Bei ihm kamen Buben schon mit sechs zur Stimmbildung - und wurden bald gefragte Opernsolisten. An diesem Montag wird er 80 Jahre alt.

Von Michael Stallknecht

Als 18-jähriger Gymnasiast hat Gerhard Schmidt-Gaden im Jahr 1956 aus einer versprengten Pfadfindertruppe im oberbayerischen Bad Tölz einen Chor gegründet, um ihn in den kommenden Jahrzehnten zu einer Institution von Weltruhm zu formen: den Tölzer Knabenchor. Die eigentliche Inspiration dafür fand er mit Mitte zwanzig im Rahmen eines Stipendiums beim Leipziger Thomanerchor. An Johann Sebastian Bachs zentraler Wirkungsstätte hatte er Zugang zur Bibliothek, wo er eine aufregende Entdeckung machte: Bach hatte seine Passionen und Kantaten keineswegs mit riesigen Chören aufgeführt, sondern in jeder Stimme nur vier Knaben zur Verfügung, die auch die solistischen Arien sangen.

Wie das möglich war, konnte sich zu diesem Zeitpunkt niemand mehr vorstellen, da Kinderstimmen für dieses Repertoire viel zu dünn klangen und kaum gegen das Orchester angekommen wären. Doch Schmidt-Gaden wollte es herausfinden. Also begann er in Bad Tölz mit Stimmbildungsmethoden zu experimentieren, um sowohl die nötige Durchschlagskraft als auch die hinreichende Virtuosität zu erreichen. Dass das Experiment gelang, macht Schmidt-Gaden zu einem der Pioniere der historischen Aufführungspraxis.

Als der Dirigent Nikolaus Harnoncourt in den 70er-Jahren seine Gesamtaufnahme von Bachs Kantaten begann, setzte er für einen Großteil der Aufnahmen auf die Stimmen der Tölzer. Mit seiner Ausbildungsmethode schuf sich Schmidt-Gaden einen Leistungschor, in dem schon Sechsjährige Einzelunterricht erhalten und es über vier Stufen bis in den Konzertchor oder in den noch begehrteren Status des Solisten schaffen können. Unverkennbar ist bis heute der "Tölzer Klang": ein kerniges, strahlkräftiges, für Kinderstimmen ungewöhnlich bruststimmenbetontes Singen.

Auf die seinerzeit noch recht engen Kreise der historischen Aufführungspraxis blieb Schmidt-Gadens Wirken dabei keineswegs beschränkt. Dass seine Knaben auch solistisch singen konnten, rückte sie gerade in den Zeiten des goldenen Klassik-Jetsets auch in den Fokus prominenter Dirigenten wie Herbert von Karajan, Leonard Bernstein oder Claudio Abbado. Mit den Solisten der Tölzer flog Schmidt-Gaden nun regelmäßig um die halbe Welt, im klassikbesessenen Japan wurde dem Chor sogar eine eigene Comicreihe gewidmet. Wann immer es die drei Knaben in Mozarts "Zauberflöte", die vier Edelknaben in Wagners "Lohengrin", den Yniold in Debussys "Pelléas et Mélisande" oder den jungen Hirten in Puccinis "Tosca" zu besetzen galt, klingelte das Telefon.

Auf insgesamt 150 CDs und DVDs sind die Stimmen der Tölzer inzwischen für kommende Generationen gebannt. Der Erfolg ebnete Schmidt-Gaden immer wieder Wege an andere Institutionen wie die Mailänder Scala, wo er in den 80er-Jahren Chordirektor war. Doch das Zentrum seines Wirkens blieb der von ihm gegründete Chor, dessen Leitung er erst im vergangenen Jahr zum 60-jährigen Bestehen an die Nachfolger übergeben hat. Als Berater bleibt Schmidt-Gaden im Hintergrund präsent. An diesem Montag feiert er seinen 80. Geburtstag.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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