Frühjahrsliteratur:Politischer Aktivismus

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Titel und Themen der neuen Jugendliteratur, die aufpassen muss, ihre Leser nicht zu verlieren.

Von Roswitha Budeus-Budde

Die Kinder- und Jugendliteratur, seit den Anfängen in der Aufklärung ein Seismograf der gesellschaftlichen Erwartungen an die nachwachsende Generation, scheint in diesem Frühjahr besonders von den jungen Aktivisten der Protestbewegungen beeinflusst zu sein. Die mit ihren Demonstrationen an die antiautoritäre Bewegung der Studenten der 68er-Generation des vorigen Jahrhunderts erinnern. Wie damals sprechen sie der erwachsenen Generation das moralische Recht ab, Vorbild für ihre Kinder zu sein. Die Politisierung der Kinder- und Jugendliteratur bewirkte damals auch einen ästhetischen und thematischen Neuanfang, der die Grenzen zur Belletristik verschob. Die wichtigsten Autoren dieser Zeit, Peter Härtling, Mirjam Pressler, Klaus Kordon, Christine Nöstlinger oder die gerade verstorbene Gudrun Pausewang, zählen inzwischen zu den modernen Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur.

Zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung in den Frühjahrsbüchern dieses Jahres ab? Kann die aktuelle Jugendliteratur gesellschaftspolitischen Einfluss gewinnen, wie vor fünfzig Jahren? Fast in jedem Verlag erscheinen aktuell Umweltbücher, bei Carlsen appelliert schon der Titel des Buches: "Was soll der ganze Müll? 50 Dinge, die du tun kannst, um die Welt zu retten" von Isabel Thomas und Alex Paterson, an die Vernunft und Einsicht der Leser. Und Marc ter Horst bezieht sich in "Palmen am Nordpol" (Gabriel) auf die wissenschaftlichen Ergebnisse zum Klimawandel und nimmt sie als Ausgangspunkt für eine heftige Diskussion mit den Gegnern und ihren Argumenten: "Alles halb so wild." "Die anderen sind schuld" und "Ach, das wird schon wieder."

Das politische Engagement der Gesellschaft fordern auch die zahlreichen Titel, die über die weltweit inhumane Flüchtlingspolitik und besonders über das Schicksal junger Flüchtlinge aufklären. Oft sind es die Erfahrungen unbegleiteter Kinder und Jugendlicher, von denen schon in Kinderbüchern erzählt wird und die gerade für kleine Leser immer hoffnungsvoll enden. Für den Appell, ihr könnt was tun, muss die Geschichte dann zwar manchmal eine fast märchenhafte Wendung nehmen, wie in "Der Junge aus der letzten Reihe" von Onjali Q. Raúf (Atrium) - hier hilft sogar Queen Elizabeth, damit es einer Freundesgruppe gelingt, ihren Klassenkameraden aus Syrien wieder mit seinen Eltern zusammenzubringen. Für Jugendliche und erwachsene Leser schlägt der amerikanische Autor Alan Gratz in "Vor uns das Meer" (Hanser) eine literarische Brücke zwischen den Fluchterfahrungen dreier Jugendlicher aus unterschiedlichen Zeiten: eines jungen Juden, 1939 aus Deutschland, einer jungen Frau 1994 aus Kuba und des zwölfjährigen Mahmud, der 2015 aus Aleppo flieht.

Wachrütteln und Mut machen sollen auch die Biografien, besonders über Frauen. Sie erreichen aber selten die emanzipatorische Sprengkraft von "Good Night Stories for Rebell Girls" von Elena Favilli und Francesca Cavallo (Hanser). Staubtrocken, wie Lehrbücher, setzen sie die Exempelliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts fort, zeigen vorbildliche Lebensläufe ohne Brüche und Kämpfe, und belehren die Leser mit Lebensweisheiten und moralischen Sprüchen. Auch die dreizehn jungen Protagonistinnen aus Berlin in Kathrin Köllers Biografienband "Stark. Rebellinnen von heute" (Gabriel), wirken einfach zu weise und zu abgeklärt, so wenig real wie ihre kolorierten Kohlestiftporträts.

Viele dieser Titel, auch die realistischen Erzählungen, erfüllen zwar die pädagogischen Vorstellungen der Erwachsenen, aber wo bleiben die Wünsche und Erwartungen der jugendlichen Leserinnen und Leser? Kann Literatur zum Lesen animieren, die sie völlig ignoriert? Mit Sorge beobachten die Verlage den Rückgang in der Lesegruppe der young adults. Manche reagieren darauf in "Leicht-Lesereihen" mit großer Schrift und übersichtlichen Zeilen. Ein Beispiel ist der Band "Meer geht nicht" der Reihe "Super lesbar" (Gulliver) von Oliver Uschmann und Sylvia Witt. Hier macht sich eine Gruppe Jugendlicher heimlich auf, um ans Meer zu kommen. Doch während bei "Tschick" von Wolfgang Herrndorf, - dem literarisch unerreichten Vorbild dieses und vieler anderer Roadmovies - , wildes pubertäres Leben als Abenteuer erzählt wird, dient diese Reise dazu, um den Eltern, die zu viel arbeiten und zu wenig Zeit für ihre Kinder haben, einen Denkzettel zu verpassen. Mit solchen einfach gestrickten Geschichten verliert das Buch die jungen Leser an die sozialen und digitalen Medien, die unter dem Radar der Eltern, mehr unzensierte Abenteuer und Aufregung versprechen.

Doch wenn sich Autoren trauen, von ungewöhnlichen, mutigen und auch frechen, selbstbewussten Protagonisten zu erzählen, wie Stepha Quitterer in der Schulgeschichte "Weltverbesserer für Anfänger" (Gerstenberg), hat man eine Chance, auch die Zielgruppe zu erreichen. Da wird an einer Schule ein Wettbewerb für die erfolgreichste gute Tat ausgeschrieben und schon herrscht "Die helle Weltverbesserungsaufregung". Das bringt eine Klasse auf die Idee, Bewohner eines Altenheims zu beglücken. Mit Ironie, galligem Humor und einem unverrückbaren Blick für Gerechtigkeit ist die Geschichte weit entfernt von jeder Belehrung. Die kühnen, manchmal absurden, aber immer treffenden Wortkombinationen erinnern an Christine Nöstlinger, die wusste: "Es ist die Sprache! Sprache kann zum Lachen und zum Weinen bringen, Sprache kann trösten, kann streicheln, kann das Gefühl von Geborgenheit geben, kann bewirken, dass man sich luftballonfrei fühlt."

Neben den politischen Schwerpunkten haben die gängigen Themen, wie Tod und Krankheit als "Sick-Lit", weiter Konjunktur. In Moni Nilssons "So viel Liebe" (Carlsen) führt ein Kind einen verzweifelten Kampf gegen den Krebs der Mutter. Auch Mobbing in der Schule taucht in vielen realistischen Titeln auf und vermittelt einen Eindruck davon, welche wichtige Rolle heute die sozialen Medien spielen. Der Held des Jugendromans "Firewall" (Magellan) der Autorin Erin Jade Lange, gerät durch Cybermobbing in ein gefährliches Spiel zwischen Täter und Opfer.

"Wer für Kinder schreibt, sollte beherzt und streitbar mit unserer geschundenen Wirklichkeit umgehen - also Realist sein", schrieb einmal Peter Härtling. "Er sollte gleichermaßen die Hoffnung in diese Wirklichkeit pflanzen als ein unsichtbar wirksames Zuhause, sollte also Utopie nicht scheuen." In einer Zeit, in der Political Correctness auch die Debatte in der Kinder- und Jugendliteratur beherrscht, braucht es sehr viel Mut, diese Worte in die Tat umzusetzen. Vielleicht auch, um nicht immer wieder die gängigen Themen zu beackern.

Stepha Quitterer: Weltverbessern für Anfänger. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2020. 274 Seiten, 16 Euro.

© SZ vom 14.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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