Klassikkolumne:Unstillbare Sehnsucht

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Der Pianist Victor Nicoara entdeckt Unbekanntes von Ferruccio Busoni. (Foto: hänssler classic)

Neues vom Klassikmarkt. Pianisten entdecken Unbekanntes von Ferruccio Busoni, Simon Laks und Grigori Frid, Vadim Gluzman geigt Beethoven und Schnittke.

Von Julia Spinola

Einer gewaltigen Aufgabe hat sich der Pianist Victor Nicoara auf seiner ersten CD gestellt. Seine musikalische Liebe gilt der zwischen Spätromantik, Avantgarde und Bach-Verehrung schillernden Musik des Komponisten, Pianisten und Theoretikers Ferruccio Busoni. Nicoara kombiniert Busonis zwischen 1910 und 1920 komponierte sechs Sonatinas mit Albumblättern und dem in orchestralen Farben erfundenen, impressionistischen "Nuit de Noel". Trotz seiner beachtlichen technischen Souveränität stellt Nicoara nicht den kontrapunktisch auftrumpfenden Übervirtuosen Busoni in den Vordergrund. Er vermeidet jeden Bombast, pflegt eine zarte, differenzierte Anschlagskunst und entdeckt Transzendentes, Traumverhangenes und eine große Klangsinnlichkeit. Noch aus der effektvollen Bizet-Fantasie "Sonatina super Carmen" tönt einem die unstillbare Sehnsucht entgegen, über diese Welt hinauszugelangen. Die CD ist ein eindrucksvolles Plädoyer für einen Komponisten, der den schöpferischen Gedanken für vollkommen hielt, seine Umsetzung jedoch nur für eine momentane Annäherung, die es zu transzendieren und fortzuschreiben gelte. (Hänssler Classic)

(Foto: N/A)

Der Komponist Simon Laks ist bekannt durch seinen Überlebensbericht "Musik in Auschwitz". Gefördert von Paderewski und Szymanowski machte er in Paris Karriere, bevor er in Frankreich inhaftiert und ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verschleppt wurde. Nach seiner Befreiung kehrte er nach Paris zurück. Dass es sich lohnt, seine Musik kennenzulernen, zeigt eine fulminante Gesamtaufnahme seiner Lieder, die auch zahlreiche Ersteinspielungen enthält. Laks hatte ein Gespür für polnische und französische Lyrik, insbesondere für die Gedichte von Julian Tuwim, die auf einem Grat zwischen Ernst und Heiterkeit balancieren. Ania Vegry findet mit ihrem leichten, betörend und facettenreichen Sopran den richtigen Ton für diese fluiden Momentaufnahmen, die mal den Stil der Groupe des Six aufblitzen lassen und immer mal wieder mit dem Chanson liebäugeln. Der oft raffiniert-eigenständige Klavierpart liegt bei Katarzyna Wasiak in den besten Händen. (EDA Records)

(Foto: N/A)

Der Geiger Vadim Gluzman spannt einen Bogen von Ludwig van Beethoven bis ins 20. Jahrhundert zu Alfred Schnittke. Beethovens Violinkonzert spielt Gluzman mit den selten zu hörenden Solo-Kadenzen von Schnittke, die einst Gidon Kremer uraufführte. Deren musikhistorische Reminiszenzen und Zitate reißen ihrerseits einen Zeithorizont auf von Beethoven und Johannes Brahms über Arnold Schönberg und Alban Berg bis zu Schnittke. Das gelingt hinreißend lebendig im kammermusikalisch geschärften Spiel des Luzerner Sinfonieorchesters unter James Gaffigan, das reizvoll kontrastiert mit dem singenden, vollen Sologeigenton russischer Schule, der Gluzmans Spiel auszeichnet. Mit Schnittke ist Gluzman vertraut wie kaum ein anderer, er spielt dessen Musik, seit er zwölf Jahre alt war. In den Solopart von Schnittkes Violinkonzert Nr. 3 wirft er sich mit überwältigender dramatischer Suggestionskraft und mit einer Vielzahl wechselnder Klangvaleurs, die er seiner "Ex-Leopold Auer"-Stradivari hier entlockt. Da scheint er die Violine neu zu erfinden. (BIS)

(Foto: N/A)

Elisaveta Blumina ist schon lange eine pianistische Pionierin vergessener Komponisten. So ist es auch ihr zu verdanken, dass der polnische Komponist Mieczysław Weinberg seit einigen Jahren eine posthume Renaissance erlebt. Dass sie ursprünglich einmal Ballerina werden wollte, meint man der kristallinen Prägnanz und technischen Brillanz ihres Spiel noch abzulauschen. Elisaveta Blumina setzt ihre Töne so gestochen präzise in Farbe, Rhythmik und Dynamik, wie eine Ballerina in Spitzenschuhen ihre Schritte. Dem 1915 geborenen Komponisten Grigori Frid hat sie bereits zwei CDs mit Kammermusik gewidmet. Nun folgen Klavierkompositionen, die Frid zwischen 1952 und 1960 für Kinder komponiert hat: entzückende kleine Charakterstücke, die zwischen Prokofjew und Ravel schillern und den didaktischen Zweck mit Fantasie und Charme verbinden. Blumina vergoldet sie alle mit ihrem klangschönen, liebevoll-sorgfältigen Spiel. (Grand Piano)

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