Französische Literatur:Sprudel für die Neuronen

Lesezeit: 4 min

Autor, Verleger, Mathematiker, Oulipo-Gründer: Raymond Queneau 1951. (Foto: AFP)

Raymond Queneau und die brillante Neuübersetzung seiner "Stilübungen" durch Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel - eine Hommage nach Art des Autors.

Von  Alex Rühle

Ausgangsmaterial

Pariser Alltag, Rushhour, im Bus: "Ein Typ, ungefähr sechsundzwanzig, weicher Hut mit Kordel statt Band, zu langer Hals, als hätte jemand dran gezogen. Besagter Typ regt sich über einen der Nebenstehenden auf. Der remple ihn jedes Mal an, wenn einer vorbei wolle, beschwert er sich." Der Mann setzt sich dann hin. Zwei Stunden später sieht ihn der Erzähler noch mal vor dem Bahnhof Saint-Lazare, diesmal mit einem Freund, der ihm rät, einen zusätzlichen Knopf an seinen Mantel zu nähen. Insgesamt besteht die Schilderung dieser banalen Begebenheit aus zehn Sätzen, alltagsgrau, im Inhalt wie in der Form. Und doch ist diese Notiz das Material, aus dem eines der originellsten, funkelndsten, stilistisch wirkmächtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts gebaut wurde: Raymond Queneau erzählt seine Zufallsbeobachtung im Folgenden in 99 Variationen immer neu. Als amtliches Schreiben, mit der pedantischen Genauigkeit einer mathematischen Abhandlung und als Fragekatalog, englisch arrogant, in leutselig dahinplauderndem Bayerisch oder aufgeregt Italianismen ("Aine giorno ike staige inne autobusse."), aber auch mit Hilfe verschiedener streng durchexerzierter Stilmittel, anagrammatisch, alliterierend, lautmalerisch.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: