Fotografie: Gregory Crewdson:Das Grauen lauert im Wohnzimmer

Je harmloser der erste Eindruck, desto böser kann es werden: In Berlin werden die aufwendigen Inszenierungen des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson gezeigt. Hollywood fürs Foto.

Nadine Barth

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(Foto: Gregory Crewdson/Gagosian Gallery, New York . White Cube, London)

Je harmloser der erste Eindruck, desto böser kann es werden: In Berlin werden die aufwendigen Inszenierungen des amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson gezeigt. Hollywood fürs Foto. Was treibt einen Künstler? Was lässt ihn, tagein, tagaus, seinen Weg gehen, unbeirrbar, lässt ihn hinstreben zum großen Ganzen, manifestiert in dem Bild, dem Text, dem Stück, geliefert von ihm, der Gemeinschaft zur wohlgefälligen Betrachtung? Gregory Crewdson, erfolgreicher amerikanischer Fotograf, sagt, es gebe letztlich nur eine Geschichte, die ein Künstler erzählen würde, und er würde sie immer wieder erzählen, nur in verschiedenen Facetten. Text: Nadine Barth/SZ vom 22.07.2011/sueddeutsche.de/cris Alle Bilder stammen aus der besprochenen Ausstellung

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(Foto: Gagosian Gallery, New York . White Cube, London . Gregory Crewdson)

Gregorys Geschichte beginnt in seiner Kindheit, sein Vater, ein Psychoanalytiker, hatte die Praxis im eigenen Haus. Der Junge, fasziniert von dem Geschehen, lag auf dem Fußboden in seinem Zimmer, das Ohr so gerichtet, das er hören konnte, was die Patienten erzählten. Er schloss die Augen, der Film begann. "Beneath the Roses" nannte er später seine bekannteste Serie. Jenseits, unter der schönen Oberfläche, der Häuslichkeit, so empfindet er es, schlummern Geheimnisse. Etwas Verbotenes, Abgründiges. Und je harmloser der erste Eindruck, desto böser kann es werden. Wir kennen diese Dramaturgie aus vielen Filmen, sie spielen, wie "Blue Velvet" aus dem Jahr 1986 von David Lynch, von dem Crewdson sagt, das er ihn verändert habe, sein Sehen geschärft, gern in der Kleinstadt, in der jede Abweichung von Normalität eine Störung des Gesamtgefüges verursachen kann.

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(Foto: Gagosian Gallery, New York . White Cube, London . Gregory Crewdson)

So einen Ort hat auch Gregory Crewdson für sich gefunden. Er liegt in Massachusetts, dort haben seine Eltern ein Sommerhaus. Und dort hat er, Jahrgang 1962, aufgewachsen in Brooklyn, Studium in Yale, auch die meisten seiner Bilder inszeniert. Und zwar wirklich "inszeniert". Denn großangelegte, wahnsinnige Inszenierungen sind es, die er vorlegt. Die Bilder sind in surreales Licht getaucht, eingefroren in einem beklemmenden Moment, perfekte Kompositionen, die die Wirklichkeit konterkarieren, indem sie diese bis zur Schmerzhaftigkeit überzeichnen. Da stehen Kinder auf Bahngleisen in einem Abbruchgebiet, unweit von ihnen brennt ein Haus, keiner wird das Feuer löschen.

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(Foto: Gagosian Gallery, New York . White Cube, London . Gregory Crewdson)

Einsame Figuren sind in biederen Vorgärten, schäbigen Zimmer oder auf regennassen Kreuzungen postiert. Schwebezustände von Einsamkeit. Menschen starren vor sich hin, Autos verharren im Schnee, Ampeln leuchten in sinnloser Schaltung. Es sind Störungen im bekannten Sein, doch was ist bekannt, was ist im Unterbewusstsein angelegt und wird hier nur nach außen gekehrt? Mehrere Monate vergehen, bis Crewdson eines dieser ikonenhaften Bilder geschaffen hat. Bei seiner ersten Recherche fährt er allein durch die Gegend, macht sich Notizen, spürt seinen eigenen Stimmungen nach. Er zeichnet, bespricht sich mit seinem Kameramann, den Beleuchtern, holt Genehmigungen ein, castet die Figuren, lässt alles wie für einen Großdreh vorbereiten. Etwa 30 Leute sind am Set, später in der Postproduction, die einige Monate dauert, kommen noch einmal so viele hinzu. Am Ende steht ein gemäldehaftes Werk, präsentiert als großformatiges Tableau. Das Whitney Museum und das Guggenheim widmeten Crewdson schon Retrospektiven. Von 2003 bis 2008 arbeitete er an "Beneath the Roses", was danach kam, war eine Zäsur.

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(Foto: Gagosian Gallery, New York . White Cube, London . Gregory Crewdson)

Crewdson fuhr nach Italien, tauchte ein in die einstigen Filmsets von Cinecittà, die in Filmen von Fellini und Bertolucci die neorealistische Opulenz feierten. Nur mit natürlichem Licht und in Schwarzweiß lichtete Crewdson Säulen, Tore, Mauerreste, Schiffswracks ab.

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(Foto: Gagosian Gallery, New York . White Cube, London . Gregory Crewdson)

Kulissen der Vergangenheit, einer Sehnsucht nach Gefühl. Und so fand er auch hier seine Geschichte, die ihn umtreibt: Die Einsamkeit des Einzelnen, selbst wenn er nicht zu sehen ist, wenn nur die Umgebung Verfall atmet und den Verlust geträumter Träume verströmt.

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(Foto: Gagosian Gallery, New York . White Cube, London . Gregory Crewdson)

Die dritte Serie, die bei c/o Berlin von ihm zu sehen ist und wie die ganzen Ausstellung sehr gut präsentiert wird, dreht sich ebenfalls um das große Gefühl. Es sind kleine, schwarz gerahmte, einfache Fotografien von Glühwürmchen, die Crewdson 1996 in einem Sommer bei seinen Eltern aufnahm. Gerade von seiner ersten Frau getrennt und in tiefer Trauer, ging er jede Nacht hinaus, um das empfindliche Lichtspektakel zu sehen. Licht als Metapher von Begehren. Als er die Kontaktabzüge sah, packte er sie sofort weg, er konnte nicht damit umgehen. Erst zwölf Jahre später entdeckte er sie wieder durch Zufall in einem Karton. Die Besessenheit von damals rührt den Künstler von heute, und wenn er vor seinen Studenten in Yale steht, ermuntert er auch sie, ihre Geschichte zu finden, tiefer zu gehen, etwas zu wagen, was nicht nur ihnen, sondern auch ihrer Zeit entspricht. Als 17-Jähriger war Crewdson Mitglied in einer Punkband, den Speedies. Sie hatten einen Undergroundhit, "Let Me Take Your Photo", den er mitkomponierte. Da hatte er noch nicht einmal angefangen zu fotografieren.

© SZ vom 22.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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