Filmkritik:Gaza sucht den Superstar

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Der Spielfilm "Ein Lied für Nour" erzählt die Geschichte eines Palästinensers, der mit seinen Liedern aus der Enge des Elends ausbricht.

Von Anke Sterneborg

Mit enormem Drive flitzen drei Jungs und ein Mädchen über staubige Straßen und durch enge Gassen, über die Dächer parkender Busse und durch fremde Häuser. Einen mitreißenden Moment lang könnte man sie fast für ganz normale Kinder halten, die ausgelassen spielen, genau wie die Älteren, die später über Ruinen und Geröllfelder Parcours laufen. Doch ihre Energie und Schwerelosigkeit ist dem Ausnahmezustand der besetzten Gebiete in Gaza abgetrotzt. Und wenn Mohammed, Ahmad, Omar und Nour mit improvisierten Instrumenten aus Blechtellern, Holzstöcken und Plastikfässern auf den Straßen üben oder auf Hochzeiten und anderen Familienfesten spielen, dann ist das nicht nur ein kleiner Triumph über die Armut, sondern auch über die strengen Sittenregeln des Islam, in dem Musik als Sünde gilt, als Ablenkung von den wichtigen Dingen des religiösen Lebens. Aber Nour, ein burschikoses Mädchen, mit halblangen Haaren unter einem Cap, will noch viel mehr: "Eines Tages", sagt sie, "werden wir groß rauskommen und die Welt verändern." Als Nour schwer erkrankt und stirbt, übernimmt Mohammed diesen Traum für sie.

Die Band macht Musik in einer Stadt, in der Musik eigentlich als Frevel verboten ist

Diesen Mohammed Asaf gibt es wirklich. 2013 haben Millionen Menschen vor der großen Showbühne in Kairo und auf Fernsehschirmen in den Straßen, in Cafés und Wohnungen in der ganzen Region seinen Triumph bei der Casting Show "Arab Idol" verfolgt. Dort, wo sonst Hass und Gewalt herrschen, ertönten Lieder statt Kriegsgeschrei. Die seelenvoll klagende Stimme dieses scheuen, sympathischen Mannes symbolisierte die Hoffnung auf Befriedung.

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Auf den ersten Blick ist es ein irritierender Stoff für Hany Abu-Assad, der mit harten, politisch aufgeladenen Sozialdramen bekannt wurde, wie "Paradise Now", der im Wettbewerb der Berlinale lief und von palästinensischen Selbstmordattentätern erzählte. Im Vergleich dazu mutet "Ein Lied für Nour" wie ein Feelgood-Märchen an, und fügt sich doch konsequent ins Werk des Regisseurs, der als Wanderer zwischen Palästina, Holland und Hollywood immer wieder von der Hoffnung auf Frieden in der volatilen Region erzählt. Ähnlich wie die Lieder von Assaf nutzen auch seine Filme die völkerverständigende und toleranzverbreitende Kraft der Kunst. Und so wie Danny Boyles "Slumdog Millionär", der auch vom Triumph eines Underdogs, damals in einer indischen Quizshow, erzählt, schöpft auch Hany Abu-Assad die Kraft seiner Geschichte aus der Kindheit seines Helden. Geschult durch seine Dokumentarfilm-Erfahrungen, vermittelt er das authentische Lebensgefühl im Gazastreifen, wo er mit Laiendarstellern aus der Region und an Originalschauplätzen gedreht hat. Ganz unaufdringlich und leise, und gerade darum auf sehr berührende Weise trägt er dazu bei, dass die Stimme der Bewohner von Gaza auch über die Region hinaus gehört wird.

Ya tayr el tayer, Palästina, 2015, Regie: Hany Abu-Assad. Buch: Hany Abu-Assad und Sameh Zoabi. Kamera: Ehab Assal. Mit: Tawfeek Barhom, Kais Attalah, Dima Awawdeh. Verleih: Koch. 95 Minuten.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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