Filmfeste:Löwe beißt Bär

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Die Berlinale präsentiert ihre neue Doppelspitze. In München träumt derweil Markus Söder von einem Konkurrenzfestival.

Von Tobias Kniebe, David Steinitz und Anke Sterneborg

Am Ende kam dann doch eine echte Überraschung. Am Freitag um kurz vor drei war es soweit: Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte den Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes versammelt und ihre Kandidaten für die Nachfolge des 2019 scheidenden Berlinale-Chefs Dieter Kosslick vorgestellt. Der Aufsichtsrat tat, was man von ihm erwartet - er nickte die Vorschläge ab.

Die Berlinale wird künftig von einer Doppelspitze geführt: von dem Italiener Carlo Chatrian, bisher beim Festival Locarno. Und von einer Frau aus den sehr, sehr eigenen Reihen: Mariette Rissenbeek.

Chatrian ist ein echter Kinokenner mit Mut zum Neuen und auch zum Sperrigen. Seine Ernennung zum künstlerischen Leiter war schon vorab durchgesickert und zumeist für gut befunden worden (SZ vom 20. Juni). Die Niederländerin Rissenbeek, Jahrgang 1956, bisher Chefin von German Films, der sogenannten "Auslandsvertretung" des deutschen Films, ist jedoch eine Personalie, mit der niemand gerechnet hätte. Aus naheliegenden Gründen. Nicht nur ist sie Mitglied des Aufsichtsrats, der sie jetzt ernannt hat. Sie war neben Grütters und dem Berliner Staatssekretär Björn Böhning auch die dritte Person in der dreiköpfigen Findungskommission für den Posten, den sie jetzt übernimmt. Sie hat sich sozusagen selbst gefunden.

Das ist mehr als bizarr. Man stelle sich drei Leute vor, die weltweit den besten Mann und die beste Frau für eine Doppelspitze suchen, und dann zeigt die eine Frau auf die andere und sagt: Mach du es doch! Rechtlich sei das alles geklärt, hieß es bei der Vorstellung, und Grütters, strahlend im sonnengelben Kleid, begründete die Wahl so: "Wir wollten auf die Beste einfach nicht verzichten, nur weil sie in der Findungskommission war." Dennoch, ein übler Beigeschmack bleibt. Er droht nun sogar den guten Willen zu überschatten, mit dem Carlo Chatrian bereits in Berlin begrüßt wurde.

Besonders fragt man sich, was wohl die 79 deutschen Regisseurinnen und Regisseure dazu sagen werden, die im November in einem Brandbrief ein "transparentes Verfahren" für die Ernennung der neuen Leitung gefordert hatten, darunter Kinogrößen wie Maren Ade, Fatih Akin, Dominik Graf und Christian Petzold. Aber was jetzt passiert ist, wirkt nicht nur wie das Gegenteil von Transparenz, sondern wie eine Blaupause für Mauschelei.

Da bleibt nur, die Umstände dieser Ernennung so schnell wie möglich zu vergessen und sich auf der Positive zu konzentrieren. Bei seiner Vorstellung sprach Chatrian nur ganz kurz, auf Englisch. Er fühle sich, als sei ihm ein Preis verliehen worden, er sei sehr bewegt, und bitte um Geduld beim Lernen der Sprache. "Eine herausragende kuratorische Persönlichkeit, die für das Kino brennt und weltweit bestens vernetzt ist" hatten sich die Regisseure in ihrem offenen Brief gewünscht. Die haben sie mit Carlo Chatrian jetzt auch bekommen. Rissenbeek wirkte etwas erschöpft, aber zuversichtlich, und meinte, sie freue sich auf ihre erste Berlinale 2020.

Rissenbeek und Chatrian, heißt es hinter den Kulissen, sollen gut befreundet sein, sie werde ihn voll unterstützen. Und obwohl Rissenbeek als allein haftende Geschäftsführerin formal höher steht als Chatrian, für den die Position des künstlerischen Leiters geschaffen wurde, scheint das Modell mal wieder auf den Mann zugeschnitten zu sein. Schon bisher hat Rissenbeek die Öffentlichkeit nicht gerade gesucht. Wenn es also auf ein loyales Team hinausläuft, in dem Chatrian auf der Suche nach Spitzenfilmen um die Welt reist, während Rissenbeek ihm alles Organisatorische vom Leib hält, könnte aus dem seltsamen Start sogar Gutes erwachsen.

Ausgerechnet jetzt kommt auf das Duo allerdings eine Kampfansage aus Bayern zu, und zwar mit einem perfiden Gespür fürs richtige Timing. Genau drei Stunden, bevor in Berlin die neuen Festivalmacher vorgestellt wurden, trat im Münchner Kulturzentrum Gasteig der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vor die Presse. Und verkündete stolz, dass er das Filmfest München zum wichtigsten deutschen Festival vor der Berlinale ausbauen wolle: "Wir werden uns nicht mit Platz zwei zufrieden geben!".

Als Finanz- und Heimatminister, der er bis vor kurzem war, dachte Söder in Sachen Kino noch eine Nummer kleiner. Eine seiner letzten Amtshandlungen im alten Job war die Förderung eines "internationalen Festivals des Neuen Heimatfilms".

Nun, als Landesvater, hat er sich anscheinend vorgenommen, nach Angela Merkel auch deren Vertraute Monika Grütters in den Wahnsinn zu treiben. Der Freistaat, so Söder, werde seine Beteiligung am Filmfest München ab 2019 um drei Millionen Euro pro Jahr aufstocken.

Das Filmfest gibt es seit 1983. Derzeitige Leiterin ist Diana Iljine, die mit Söder gemeinsam auf dem Podium saß. Das Festival wird hauptsächlich von der Stadt München und dem Freistaat getragen, die bislang ungefähr zu gleichen Teilen den Löwenanteil des Budgets gestemmt haben. Das beträgt derzeit 3,5 Millionen Euro, plus ungefähr eine Million aus Sponsorenverträgen und Ticketverkäufen. Mit den zusätzlichen drei Staatsmillionen sind es ab kommenden Jahr 7,5 Millionen Euro. Auch die sind für Söder nur ein Anfang: "Wir sind bereit, noch mehr Geld zu investieren." Was auch notwendig wäre, wenn er den Wettkampf ernst meint, denn die Berlinale hat ein Budget von 25 Millionen Euro pro Jahr.

Aber die Angelegenheit mit dem bayerischen Kino will Söder, der sich während der Pressekonferenz ungefähr zehn Mal als "Cineast" bezeichnet, explizit zur Chefsache machen. Das Kino liebe er seit seiner Jugend, ja gar der Beruf des Regisseurs sei für ihn infrage gekommen. Das wäre den Kollegen von der CDU derzeit vermutlich ganz recht, wenn der Herr Dr. Söder einfach auf die Filmhochschule gegangen und dort geblieben wäre. Aber es kam nun mal anders.

Söder sagt: "Ich mag die Anhäufung der Gefühle, die das Kino vermittelt". Und weil das selbst in seinen eigenen Ohren etwas unsexy klingt, führt er noch aus, wie genau er sich das vorstellt, mit der Berlinale-Übertrumpfung. Das Filmfest München solle zu einem "internationalen Medienfestival" werden, das auch Virtual Reality und Computerspiele mit einbezieht. Ein Festivalzentrum müsse entstehen, entweder durch einen Neubau oder eine geeignete bestehende Immobilie (bislang ist das Filmfest Untermieter im Gasteig).

Und wenn das auf den Weg gebracht sei, meint der Ministerpräsident, könne man durch weitere Fördermittel den Rest der bayerischen Medienbranche so attraktiv machen, dass Berliner Künstler mittelfristig alle nach München ziehen würden. Dass er in seiner bisherigen Karriere mit dafür gesorgt hat, dass es mit Wohnraum und Kreativquartieren für Künstler in München, vorsichtig gesagt, eher schwierig ist, lässt er an diesem Termin mal außen vor. Aber wenn einen die Hybris einmal packt, kann man sich natürlich auch nicht mit logistischen Lappalien abgeben. Denn, so Söder zum Schluss: "Bayerisch denken, heißt größer denken."

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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