Filmbranche:Vorsichtige Selbstgeißelung

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Hollywood reagiert auf die Enthüllungen um den Megaproduzenten Harvey Weinstein, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Und nicht alle Stars geben sich ahnungslos.

Von Susan Vahabzadeh

Am Montagnachmittag stellte die amerikanische Nachmittags-Talkshow "The View" eine neue Kommentatorin vor - in der Sendung sitzen seit Jahrzehnten vier Frauen am Tisch und hecheln das Tagesgeschehen durch, und den konservativen Standpunkt wird fortan die Tochter des republikanischen Senators John McCain vertreten. Die ereiferte sich gleich bei ihrem Debüt: Auf den Fall des wegen sexueller Übergriffe ins Kreuzfeuer geratenen Filmproduzenten Harvey Weinstein habe es viel weniger Reaktionen gegeben als auf die ähnlichen Vorwürfe gegen Roger Ailes, den Chef des konservativen Nachrichtensenders Fox News, der vergangenen Sommer seinen Sessel räumen musste. Whoopi Goldberg, die Grande Dame bei "The View", lehnte sich daraufhin gelassen zurück und fand, dafür sei es vier Tage später noch ein wenig zu früh. Erst am Donnerstagabend wurden die Recherchen der New York Times veröffentlicht, die dazu führten, dass Weinstein am Wochenende aus seiner eigenen Firma flog.

Sie hat nicht ganz unrecht: Der Fall Ailes entwickelte sich langsam, jetzt passiert alles ganz schnell, und Hollywood ist wegen der Enthüllungen über Weinstein, der über Jahrzehnte hinweg Schauspielerinnen und weibliche Angestellte belästigt und unter Druck gesetzt haben soll, in Aufruhr.

Meryl Streep, die mit dem Produzenten Weinstein unter anderem "The Iron Lady" gemacht hat, veröffentlichte ein Statement: Sie sei erschüttert, und die Frauen, die nun die Übergriffe durch Weinstein publik gemacht hätten, seien Heldinnen; sie müsse aber klarstellen, es habe nicht jeder Bescheid gewusst. So ungefähr sagte es auch die 82-jährige Dame Judi Dench. Lena Dunham twitterte, Hollywood müsse nun mal vor der eigenen Tür kehren. Waren wir alle naiv, fragte sich Kate Winslet. Regisseur Kevin Smith ("Dogma"), der Weinstein seine Karriere verdankt, schämt sich öffentlich, dass er profitierte - während andere litten; Jeff Bridges wünscht Weinstein das Beste beim Kampf mit seinen Dämonen. Einzig die Designerin Donna Karan fühlte sich bemüßigt, Weinstein zu verteidigen, mit einer Begründung, die besonders für jemanden, der vom Verkauf aufreizender Kleidung lebt, ein echter Knaller ist: Wer sich aufreizend anzieht, suche doch nach Ärger - so etwa kann man ihre Äußerungen zusammenfassen. Eine erste Reaktion bekam sie dafür von der Schauspielerin Rose McGowan, einer der acht Frauen, die von Weinstein mit einer Abfindung zum Schweigen gebracht wurden - sie nannte Karan "Abschaum". Nachdem Karan auf Twitter nachlesen konnte, sie habe im Handstreich ihre Karriere beendet, rudert sie inzwischen zurück.

Das war alles noch, bevor der New Yorker die nächste Bombe hochgehen ließ und damit sehr viel Sand ins Getriebe der vorsichtigen öffentlichen Selbstgeißelung streute: Das Magazin veröffentlichte am Dienstag eine Geschichte, an der Ronan Farrow, der Sohn von Mia Farrow und Woody Allen, monatelang gearbeitet hat, und die in ihren Vorwürfen noch weit über die Recherchen der New York Times hinausgeht: Er hat Augenzeugen, Betroffene, die ihm von Vergewaltigungen erzählen und von erzwungenem Oralsex, wie beispielsweise die italienische Schaupielerin Asia Argento. Weinsteins Sprecherin hat auf die Vorwürfe reagiert: Weinstein weise den Vorwurf, mit Frauen gegen ihren Willen Sex gehabt zu haben, zurück. Es ist offensichtlich mehrfach versucht worden, für die Gerüchte über Weinsteins Übergriffe genug Belege für eine Veröffentlichung zu finden. Die Journalistin Sharon Waxman beklagte in The Wrap, sie habe schon 2004 eine Geschichte über Weinsteins Taten recherchiert, die die New York Times nicht drucken wollte. Weinstein, behauptet Waxman, habe massiven Druck auf die Times ausgeübt, sie sei sogar persönlich von Stars wie Russell Crowe und Matt Damon angerufen worden, die ihren Freund Harvey verteidigten. Der aktuelle Times-Chef konterte, Waxmans Text habe nur eine richtige Quelle gehabt. Auch Farow schreibt, der New Yorker sei schon einmal an einer Weinstein-Recherche gescheitert. Es wäre sträflich, wären Berichte unterdrückt worden - aber wenn es darum geht, keine unbewiesenen Behauptungen in die Welt zu setzen, hat Vorsicht ihre Berechtigung. George Clooney sagte schon am Montag, als es noch um Belästigung ging und nicht um Vergewaltigung, Weinsteins Verhalten sei "nicht zu verteidigen". Clooney verdankt Weinstein seinen ersten Kinoerfolg, 1996 "From Dusk Till Dawn". Im Interview mit The Daily Beast beteuert er, selbst habe er Weinsteins unangemessenes Verhalten nie gesehen. Die Gerüchte, dass Schauspielerinnen mit Weinstein Sex hatten, um Rollen zu bekommen, habe er aber schon in den Neunzigern gehört. Nur: "Es schien mir immer eine Art zu sein, Schauspielerinnen zu denunzieren und zu erniedrigen, wenn man erzählt, sie hätten ihre Jobs nicht wegen ihres Talents bekommen. Also blieb ich den Gerüchten gegenüber skeptisch." Da hat er ja nicht ganz unrecht. Was aber die Enthüllung der Times angeht: "Der Teil, dass jetzt acht Frauen ausbezahlt wurden - davon habe ich nie gehört, und weiß von niemandem, der es gehört hat. Das ist eine ganz andere Ebene, und da gibt es keine Aussöhnung." Das werden die Vergewaltigungsvorwürfe noch verstärken.

Und nun? Rose McGowan, eine der Ausbezahlten, hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Zum Fall selbst darf sie nicht viel sagen. Ihr Statement ist eher allgemein - die Männer in Hollywood müssten lernen, dass Frauen nicht ihnen gehören. "Steht für Frauen ein. Steht für die Wahrheit ein. Hört auf, uns zu verletzen. Erhebt euch."

Dass in der Filmbranche alles noch etwas schlimmer ist als im Rest der Gesellschaft, wird niemand bestreiten - die Besetzungscouch ist so alt wie Hollywood. Wenn eine Schauspielerin sich allerdings selbst entscheidet, mit einem Mogul um der Karriere willen ins Bett zu gehen, ist das etwas anderes, als wenn ein Produzent sie erniedrigt und Zwang ausübt. Wo aber verläuft die Grenze?

Eigentlich müsste die Vorstellung vom tollen Produzentenhecht, der eine Schauspielerin erobert, die halb so alt ist wie er, komplett aus den Köpfen verschwinden - doch mit einem Präsidenten im Weißen Haus, der trotz der Pussy-Grabbing-Aufnahme eine Wahl gewonnen hat, ist das gar nicht so leicht. Man kann den Menschen ihr Privatleben nicht vorschreiben; Sophia Loren blieb mit dem Produzenten Carlo Ponti, den sie als 16-Jährige kennenlernte, bis zu seinem Tod 57 Jahre später zusammen. Aber es kann nicht sein, dass eine Schauspielerin fürchtet, eine Anzeige könnte ihre Karriere beenden und nicht die des übergriffigen Produzenten. Eher andersherum, findet George Clooney: Dies ist der Augenblick, solchen Leuten richtig Angst einzujagen.

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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