Film:Scheinheiligenschein

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Im Glauben gelassen: Der polnische Oscarbeitrag "Corpus Christi" fragt nach der Aufrichtigkeit des Glaubens und sucht nach Wegen des Neuanfangs für die Kirche.

Von Sofia Glasl

Ein Glück, dass Pater Tomasz sein Handy im Beichtstuhl dabeihat und googeln kann, was zu tun ist. Sonst würde nämlich auffliegen, dass er eigentlich gar kein Priester ist und nur durch ein Missverständnis den Dorfpfarrer vertritt. Der muss auf Alkoholentzug und seine Haushälterin führt den unvorbereiteten Daniel, so sein echter Name, postwendend zur anstehenden Beichtstunde. Dafür, dass er das noch nie zuvor gemacht hat, läuft es dann eigentlich recht gut: Die Sünderin auf der anderen Seite der Trennwand klagt über ihren zwölfjährigen Sohn, dem sie die Raucherei austreiben will und den sie deshalb schlägt - "aber nur manchmal". Daniel rät ihr, dem Kind die stärksten Zigaretten zu kaufen, dann erledige sich das Problem mit dem Rauchen von selbst. Der Vorschlag bringt sie ein wenig aus der Fassung, doch wenn der Priester das sagt, wird es schon seine Richtigkeit haben. Um sie von ihren Sünden loszusprechen, trägt er ihr kein Gebet auf, sondern Radfahren mit dem Sohn, "vielen Dank, auf Wiedersehen". Daniel atmet auf, die Frau geht zögerlich aber gottesfürchtig nach Hause.

Der polnische Filmemacher Jan Komasa erzeugt in seinem Film "Corpus Christi" eine Grundstimmung, die man wohl am besten mit Fassungslosigkeit umschreiben kann. Die Chuzpe, mit der Daniel sich den Priesterkragen anlegt, lässt immer wieder ungläubig auflachen. Denn es ist nie ganz eindeutig, ob er dies aus der schieren Verzweiflung heraus tut, weil er sich in ein auswegloses Lügenkonstrukt verstrickt hat, oder ob er in der Rolle des Pfarrers nach Vergebung seiner eigenen Schuld sucht. Daniel wurde nämlich gerade aus dem Jugendknast entlassen. Weshalb er dort einsaß, wird erst spät angedeutet, doch hatte er im Gefängnis Gefallen am katholischen Glauben gefunden und wollte eigentlich ins Priesterseminar - bei seinem Vorstrafenregister unmöglich, so der Gefängnispfarrer. Er sollte hier im Ort in einem Sägewerk arbeiten, die Rolle des Priesters jedoch scheint wie für ihn gemacht.

Im Glauben gelassen: Bartosz Bielenia als falscher Priester und trotzdem guter Hirte. (Foto: Verleih)

Daniels Geschichte klingt nach einem rührseligen Drama vom Sünder auf Erlösungssuche. Regisseur Komasa verweigert sich aber allem bekehrenden Pathos und stellt stattdessen Fragen zum Wesen der Scheinheiligkeit: Sind Daniels Wohlwollen und Fürsorge gegenüber der Gemeinde weniger wert als das gottesfürchtige aber oft menschenverachtende Verhalten der Dorfbewohner? Nach einem tragischen Unfall suchen diese kollektiv nach einem Sündenbock, um ihr Trauma zu verarbeiten, denn der Glaube allein hilft nicht mehr. Daniel hingegen tut mit seinen improvisierten Predigten und unkonventionellen Ratschlägen tatsächlich Gutes für diese Leute, obwohl alles auf einer Lüge fußt.

Die feine Ironie dabei ist, dass die Gemeinde so dringend Hilfe benötigt, dass sie an Daniel glaubt - obwohl es genügend Hinweise darauf gibt, dass er ein Betrüger ist und seine eigenen Beichten immer wieder als Gleichnis tarnt: "Ich bin ein Mörder" eröffnet er eine seiner Predigten und die Gemeinde reagiert kaum. Seine Ausführungen über Schuld und Vergebung beziehen sie auf sich selbst. Ob er seine realen Vergehen überspitzt oder nicht, bleibt in der Schwebe und fügt der heiteren Fassungslosigkeit eine Grundanspannung hinzu. Wie sehr er mit seinen inneren Dämonen kämpft, bricht hervor, als ein ehemaliger Zellengenosse auftaucht und ihn zu entlarven droht. Auch Daniel ist nicht davor gefeit, in alte Muster zurück zu verfallen.

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Daniels Dilemma zwischen seiner dunklen Wahrheit und der wohlwollenden Lüge erzeugt ein moralisches Kippbild, das die Aufrichtigkeit des Glaubens infrage stellt, sowohl im religiösen Sinne als auch in einem humanistischen Grundvertrauen. Was klingt wie ein biederes Drama, kommt wohltuend unangestrengt daher. Das liegt daran, dass die minimalistische Handlung Raum für die Figurenentwicklung lässt. Mit der Schauspielentdeckung Bartosz Bielenia hat Komasa die ideale Besetzung für Daniel gefunden. Seine ausgemergelte Gestalt, seine oft vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen und die nervös zuckende Stirn spiegeln sowohl seine Angst vor dem Auffliegen als auch seine Vergangenheit voller körperlicher Brutalität. Indem er der Gemeinde zu neuer Hoffnung verhilft, findet er den Glauben an sich selbst und auch in eine neue Körperlichkeit, die dieses dürre Männchen letztendlich doch das Priestergewand ausfüllen lässt.

Seine Vergangenheit muss ihn schließlich einholen, denn bei allem feinsinnigen Humor ist dies dennoch ein Drama, dessen Realismus alle spirituellen Anklänge erdet. Tatsächlich basiert der Film auf einem realen Fall aus dem Jahr 2011 und traf im konservativen Polen scheinbar einen Nerv - der national wie international vielfach prämierte Film war dieses Jahr polnischer Oscar-Beitrag und schaffte es als Außenseiter auf die Liste der Nominierungen. Indem Jan Komasa althergebrachte Gepflogenheiten und Gesten nicht nur hinterfragt, sondern mit Gegenentwürfen aufbricht, schaut er nach dem wahren Wert von Begriffen wie Demut, Verdammnis, Mitleid und Vergebung.

Corpus Christi , Polen 2019 - Regie: Jan Komasa, Buch: Mateusz Pacewicz. Kamera: Piotr Sobocinski Jr. Mit: Bartosz Bielenia, Eliza Rycembel, Aleksandra Konieczna. Arsenal, 116 Minuten.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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