Feier mit Fehler:Ach, diese Lücken

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So harmonisch dieses Gruppenbild dreier Männer und ihrer Löwen auch wirkt, den überraschenden Verlauf des Abends spiegelt es nicht wider: die Buchpreisträger (von links) Joachim Meyerhoff, Jan-Werner Müller und David Wagner. (Foto: Yves Krier)

Bei der Verleihung der Bayerischen Buchpreise kommt es zu einem Eklat: Aufgrund von Plagiatsvorwürfen zieht die Jury ein nominiertes Werk vor laufender Kamera zurück

Von Antje Weber

Die unmittelbare Situation ist das größte Wagnis." Der Autor und Schauspieler Joachim Meyerhoff weiß, wovon er spricht. Und als der Ehrenpreisträger gegen Ende einer denkwürdigen Buchpreis-Verleihung am Donnerstag diesen Satz formulierte, konnte wirklich jeder in der Münchner Allerheiligen Hofkirche intensiv nachfühlen, was er meinte. Denn vorangegangen war ein Abend mit einem unerwartet weiten Spannungsbogen: Der Bayerische Buchpreis erlebte, im sechsten Jahr seiner noch jungen Geschichte, den ersten Skandal, und das vor laufenden Kameras.

Es ist schließlich die ungewöhnliche Form, die diesem Preis eine gewisse Sonderstellung gibt: Drei Juroren - in diesem Jahr die Journalisten Sandra Kegel, Svenja Flaßpöhler und Knut Cordsen - diskutieren in jeweils 30 Minuten die Preisträger in den Kategorien Sachbuch und Belletristik öffentlich aus. Doch bereits als die Jury-Vorsitzende Kegel diesmal die ersten Sätze sprach, hielten die Zuhörer die Luft an: Vor wenigen Tagen habe sie erfahren, dass es beim von ihr vorgeschlagenen Sachbuch "Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter" von Cornelia Koppetsch Vorwürfe "hinsichtlich der korrekten Zitierweise" und ein "schwebendes Verfahren" gebe, sagte Kegel. Die Autorin habe das Buch "auf eigenen Wunsch nicht zurückziehen wollen". Und so habe die Jury ihrerseits beschlossen, das Buch zurückzustellen.

Hätte man das in diesem Moment so stehenlassen, es wäre wohl am elegantesten gewesen. Juror Cordsen jedoch stieg in die inhaltliche Kritik ein und beklagte anhand einiger Beispiele, dass die Autorin "nicht nur einzelne Termini, sondern zeilenlang ganze Satzperioden" ohne Quellenangabe von Kollegen wie Andreas Reckwitz übernommen habe. Auch wenn sich die Jurorin Flaßpöhler noch um würdigende Worte bemühte, hallten doch vor allem die schweren Plagiatsvorwürfe nach. Der schlussendlich ausgezeichnete Sachbuchautor Jan-Werner Müller thematisierte dies bei seinen Dankesworten und fragte, ob man mit dem Werk von Koppetsch "auf weniger verletzende Weise hätte umgehen können". Überhaupt: Er fühle sich "ein wenig wie Hansi Flick".

Das war nachvollziehbar, schließlich hatte die Diskussion unter dem Eindruck der Ereignisse zunächst etwas zerfahren gewirkt. Insbesondere bei Müllers Buch "Furcht und Freiheit. Für einen anderen Liberalismus" spürte man überhaupt, wie schwierig eine öffentliche Diskussion vor allem beim Sachbuch sein kann. Wenn die Zuhörer zu wenig mit Fakten über Inhalt und Ziel eines Buchs angefüttert werden, fühlen sie sich schnell im Austausch der Argumente verloren - insbesondere wenn die Diskussion dann auch noch, wie in diesem Fall, um den Liberalismus-Begriff der Politologin Judith Shklar kreist, an dem sich Müllers Werk abarbeitet. Dennoch: Dieter Thomäs Buch "Warum Demokratien Helden brauchen" kam trotz einem leidenschaftlichen Plädoyer Flaßpöhlers nicht dagegen an.

Von den Helden der Realität ging die Jury sodann zu denen der Fantasie über - wobei sich das diesmal im Bereich Belletristik auch nicht eindeutig behaupten ließ, schließlich war mit David Wagners autofiktionalem Vater-Sohn-Buch "Der vergessliche Riese" ein Werk ohne Genrebezeichnung nominiert worden. Das störte die Juroren nicht, unisono lobten sie Wagners "Beschreibungsintensität", die "lakonische Spannung". Damit war klar: Wagner würde einen Porzellanlöwen und 10 000 Euro mit nach Hause nehmen. Carmen Buttjers Debütroman "Levi" über einen traumatisierten Jungen hatte keine Chance, auch wenn Flaßpöhler und Cordsen darin eine Art "Großstadt-Dschungelbuch" erkennen wollten. An Steffen Kopetzkys Kriegsroman "Propaganda" wiederum bemängelten die Jurorinnen unter anderem allzu ausführliche Schlachtbeschreibungen und die Reduzierung von Frauen auf Objekte des Begehrens - vielleicht doch "ein Jungs-Buch", musste Cordsen zugeben. Die Diskussion darüber, so spürten die erleichterten Zuhörer, gewann in der zweiten Runde jedenfalls deutlich an Fahrt und Witz.

Mitreißen ließ sich das Publikum schließlich von Multitalent Joachim Meyerhoff. Mit dem "Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten" ausgezeichnet, ulkte der Autor von Bestsellern wie "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" über seine Naivität und irre Hoffnung, tatsächlich Markus Söder anzutreffen. Vergeblich: Stellvertretend kam Staatsminister Florian Herrmann. Das war auch gut so, nicht nur seiner lockeren Laudatio wegen: Enttäuschte Hoffnungen, erklärte Meyerhoff, sind ideale Voraussetzungen für gute Geschichten. Und zu erzählen, oh ja, gibt es von diesem Abend genug.

© SZ vom 09.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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