Vier Favoriten der Woche:Zwischen den Welten

Lesezeit: 4 min

Viel Wasser zwischen ihrer und unserer Welt: Bilderbuch in den USA. (Foto: Lucas Christiansen)

Bilder zum Hören und Musik zum Sehen, Jurij Pimenows Moskau, die Band "Bilderbuch" reist nach Amerika. Die Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autoren

In der einen Plattentasche steckt eine LP, in der anderen Kunstdrucke. (Foto: Framed E.v.)

Bilder hören, Musik sehen: Framed 2021

Schöne Innovation auf dem Gebiet des Doppelalbums: In der einen Plattentasche steckt eine LP, in der anderen Kunstdrucke. Der feine Eventraum Framed in Berlin kombiniert seit jeher Musiker mit Künstlern, Konzerte mit Ausstellungen. Jetzt gibt es in Zusammenarbeit mit dem ebenso feinen Label Low Swing erstmals einen Sampler zum Programm (bestellbar auf Framed.berlin). Da treffen dann nicht nur der Jazzgitarrist Lionel Loueke und die Sopranistin Alma Sade aufeinander, sondern auch Fotografie von Merav Maroody auf Malerei von Katharina Arndt oder Emili Theander. Man hört den All-over-Pianisten Omer Klein und betrachtet dazu ein Foto von Noga Shtainer, bis man meint, man hört das Bild und sieht die Musik. Wie Songtexte mitlesen, nur schöner - und ohne Songtexte. Peter Richter

Mobilität in Zeiten des Terrors: Jurij Pimenows Gemälde "Neues Moskau. 1937". (Foto: Jurij Pimenow "Neues Moskau. 1937"; Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau)

Jurij Pimenows Moskau

Es gibt Russen, denen bei Jurij Pimenows Bildern die Tränen kommen, jedenfalls bei seinen Werken aus den Sechzigern. Betonröhren auf einer Baustelle, ein Liebespaar, der erste Kuss. Oder: Eine Stadt wird gebaut, ein Brettersteg, darauf ein Brautpaar. In den Sechzigern war der Schrecken des Weltkrieges Vergangenheit, Stalin endlich tot, Dürre und Siechtum der späten Sowjetunion lagen in der Zukunft. In dieser kurzen Phase des Aufatmens, im Tauwetter, war Romantik unter Kränen die einzige Romantik, die zu haben war, und wenige zauberten mit so leichter Hand das goldene Licht der Verklärung darauf wie der Maler Jurij Pimenow, dem die Neue Tretjakow-Galerie in Moskau eine große Gesamtausstellung geschenkt hat (bis 9. Januar). Sie zeigt Pimenows impressionistisches Spätwerk, aber auch das künstlerisch viel interessantere Frühwerk. Pimenow, geboren 1903, hatte am Wchutemas studiert, dem sowjetischen Bauhaus-Pendant, er warf sich der revolutionären Ideologie in die Arme, die ein neues Denken, einen neuen Menschen schaffen wollte - mit den Mitteln der Kunst. Seine frühen Arbeiten sind Temporausch, Dynamik mit rasanten Diagonalen und expressionistischem Strich. In den Tempeln der Schwerindustrie werden hagere, langgestreckte Arbeiter im Feuer gehärtet wie Stahl. Sportler rasen mit Flugzeugen um die Wette. Zwischen Früh- und Spätwerk steht Pimenows bekanntestes Werk - und zugleich eines der unheimlichsten der Kunstgeschichte. "Neues Moskau.1937" zeigt eine elegante Blondine am Steuer eines Autos, eine Göttin der Mobilität in Rückansicht. Mit behandschuhten Fingern lenkt sie ihren Wagen durch eine der berühmtesten Straßen Moskaus, direkt auf ein großes Stalin-Porträt zu. 1937 war der Höhepunkt des großen Terrors, Nacht für Nacht wurden Menschen deportiert oder erschossen. Pimenow aber lässt eine Frau - seine Frau, die mit Zwillingen schwanger war - durch dieses Grauen gleiten wie über eine Sommerwiese. Er habe Menschlichkeit noch in düstersten Zeiten zeigen wollen, heißt es in der Ausstellung. Aber wie bei einem Lügendetektor scheint seine Hand gezittert zu haben, die Konturen sind verschwommen, das Bild lässt sich nicht scharf stellen. Als habe die Kunst gewusst, welchen Abgrund sie verdeckt. Sonja Zekri

Da strahlt es schon beim ersten Hinhören: Der Flötist Jean-Pierre Rampal. (Foto: imago/Leemage)

Jean-Pierre Rampals zauberische Flötenkunst

Ob Mozart oder Haydn, Bach, Vivaldi, Carulli, Yamanakabushi oder Scott Joplin. Der Flötist Jean-Pierre Rampal konnte alles spielen, vor allem aber: Man wollte es auch von ihm hören. Rampal war eine jener Begabungen, die ein im Konzertbetrieb kaum beachtetes Instrument zum Solo-Star machen können. Denn so gerne man die geflöteten Soloeinlagen in Orchesterstücken hört, so befremdlich erscheint der Gedanke, ein einsamer Flötist bestreite einen Konzertabend. Der vor elf Jahren verstorbene Rampal konnte das, seine technische Perfektion beeindruckt noch heute ebenso wie seine ansteckende musikantische Fröhlichkeit. Die zu seinem 100. Geburtstag veröffentlichte CD-Edition (Sony) bringt es an den Tag, und es sind nicht nur die großen Konzerte mit Orchesterbegleitung, die faszinieren, sondern eine weitgehend unbekannte Ecke von Kammermusik, die Rampal hier einem breiten Publikum erschließt. Zum Beispiel die eine Solosonate des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel. Das ist gleichsam Musik in reinster Form, da schaut man gleichsam in die Werkstatt und ins Herz des Komponisten wie des Ausführenden. Und da strahlt es schon beim ersten Hinhören, und erst recht, wenn man sich ein wenig ins Werk vertieft und gleichermaßen das Stück und sich selber beobachtend hört. Es war auch in den 1970er-Jahren, als die steile Karriere von Rampal Fahrt aufnahm, ein Wagnis, solche ausgedehnten Solostücke aufs Programm zu setzen oder reine Flöten-Kammermusikabende zu veranstalten. Dass es dennoch funktionierte, lag nicht nur an der Entschlossenheit des Flötisten, sondern auch dem Zusammenspiel führender Plattenlabels wie Erato und CBS, schließlich auch an dem Umstand, dass damals mit Schallplatten noch richtig Geld zu verdienen war und die Live-Konzerte, wirtschaftlich gesehen, ein werbewirksames Nebenprodukt. Heute ist es genau umgekehrt. Was kein Schaden ist, wenn man die Möglichkeit hat, regelmäßig Konzerte zu besuchen. Falls nicht, ist man dankbar für solche Editionen, die dem Musikliebhaber ein Repertoire erschließen, das er sonst niemals hören könnte. Etwa jene Kompositionen, mit der Friedrich der Große seine Hofgesellschaft nachmittags beglückte. Die muss man doch mal gehört haben. Helmut Mauró

Viel Wasser zwischen ihrer und unserer Welt: Bilderbuch in den USA. (Foto: Lucas Christiansen)

Verwirrend hüftlocker: Neue Single von "Bilderbuch"

Die Indie-Alternativ-Dream-Pop-Formwandler von Bilderbuch sind gerade in den USA unterwegs. Eine Support-Tour mit Roosevelt (fürs kommende Jahr steht dann eine eigene an). Zwischen ihrer und unserer Welt liegt also gerade viel Wasser und da ist es natürlich ganz gewieft von den österreichischen Strizzis, eine Single zu veröffentlichen, die da heißt: "Zwischen deiner und meiner Welt". Geachtelte Gitarren und Bässe, Drums in Double-Time, exakt richtiges Tempo, um auf Festivals (die Älteren werden sich erinnern) dazu auf und ab zu hüpfen. Trotzdem wirklich sehr verwirrend hüftlocker. Und wieder getragen von einer dieser krisselig angezeckten Fuzz-Gitarren-Melodien. Was hier die Gelegenheit für eine langüberfällige Liebeserklärung an Snacky Mike bringt: Kein Gitarrist in diesem Kulturraum bringt gerade mehr Sex, Pose und klebrige Geilheit in dieses Instrument. Toll! Jakob Biazza

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