Evke Rulffes Buch "Die Erfindung der Hausfrau":Die richtige Dosis Branntwein

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Endgültig schwindet die Wertschätzung für Hausarbeit dann im 20. jahrhundert: Junge Frauen 1930 in der Waschküche in einem Erziehungsheim in Frankfurt/Oder. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Evke Rulffes zeigt in ihrem Buch "Die Erfindung der Hausfrau" das fehlende Bewusstsein für eine unverzichtbare Arbeit - und liefert amüsante Einblicke in die Alltagskniffe des 18. Jahrhunderts.

Von Marlene Knobloch

Wie emanzipiert sich die heutige Generation von ihren Großmüttern fühlen mag, wie weit von eingekochten Zwetschgen und der perfekten Schweinebratenkruste entfernt - junge Mütter, die ihren Kindern Fertignudelsuppen servieren, haben es im Jahr 2021 immer noch nicht leicht. Denn, so Evke Rulffes in ihrem Buch "Die Erfindung der Hausfrau. Die Geschichte einer Entwertung", es lastet trotz Bofrost-Emanzipation der Druck auf der modernen Frau, eine gute Hausfrau zu sein. Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg drohe die soziale Ächtung, wenn frau an Kindergeburtstagen nicht mindestens vier Kuchen backt.

Die in Berlin lebende Kulturwissenschaftlerin widmet sich in ihrem trotz akademischer Sprache sehr gut lesbaren Buch der Geschichte der Hausfrau. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wann und weshalb sich die Perspektive auf Hausarbeit verändert hat von einer einst immerhin anerkannten (wenn auch nicht hoch geschätzten) Tätigkeit zu einer unsichtbaren Selbstverständlichkeit.

Damit kratzt sie mit Rückgriffen in die Vergangenheit sachte an den Etiketten, die am zeitgenössischen Diskurs kleben, und erinnert wie unoriginell unsere Vorstellungen von der "Karrierefrau" oder "vom neuen Mann, der auch kochen kann" sind, und wie unmodern die Ideen von "weiblicher" und "männlicher" Arbeit. Schon Ötzi trug Nähzeug bei sich. Gleichzeitig gibt's einen so amüsanten wie faszinierenden Einblick in die praktischen Alltagskniffe des 18. Jahrhunderts - inklusive der richtigen Dosis Branntwein für den Knecht, der unter dem guten Einfluss von Alkohol, "große Dinge" und "guten Willen" hervorbringe.

"Alles, was Furcht machen kann, muß sorgfältigst vermieden werden"

Grundlage für Rulffes Beobachtungen ist der einst sehr beliebte Ratgeber "Hausmutter" von Christian Friedrich Germershausen, erstmals veröffentlicht 1778. Anhand dessen analysiert sie das Bild der Hausfrau im 18. Jahrhundert. Schon die Tatsache, dass ein Mann auf über 4500 Seiten Tipps und Anleitungen für den Haushalt gibt, vom Kochen, Konservieren, über Betriebsmanagement, Eheführung und Kindererziehung, ist bemerkenswert.

Die wichtigsten Merkmale der guten Hausfrau nach Germershausen: Sie ist patriotisch, wenn sie nach merkantilistischen Vorbild des 18. Jahrhunderts wirtschaftet, das Geld also im Inland lässt und nicht etwa für Kaffee ausgibt. Sie ist für das Betriebsmanagement zuständig, für gutes Wirtschaften, während dem Mann eher das Talent zum Schulden machen zugeschrieben wird. Und ihr kommt auf vielen Gebieten die Expertinnenrolle zu, sie leitet etwa die Hebamme an. Fast 100 Seiten kreisen bei Germershausen allein um die Schwangerschaft und Geburt samt Tipps wie: "Alles, was Furcht machen kann, muß sorgfältigst vermieden werden."

Kurz werden auch die durchaus weiblich geprägten Zünfte im Mittelalter erwähnt. Das Handwerk des Bierbrauens in Frankfurt war etwa fest in Frauenhänden. Vor allem erstaunt an Rulffes Analyse, wie wenig übrig blieb von der Tatsache, dass es früh Handwerkerinnen, Schellenmacherinnen oder Bierbrauerinnen gab. Stattdessen hielten sich misogyne Vokabeln wie "Rabenmutter" über alle Epochen und Kriege hinweg. Und das, obwohl es sich laut Rulffes um eine "Fehlinterpretation von Luthers Übersetzung einer Stelle aus dem Buch Hiob handle, die dazu führte, dass man glaubte, die Raben würden ihre Jungen aus dem Nest werfen". Während es in anderen Sprachen kein Äquivalent gibt, hält sich im Deutschen der Ausdruck hartnäckig.

Im 20. Jahrhundert schwindet die Wertschätzung für Hausarbeit endgültig. Schuld daran ist laut Rulffes vor allem die konsumorientierte Gesellschaft. "Die bürgerliche Hausfrau ist "nur" noch Hausfrau, die "nicht arbeiten gehen muss" und dafür dankbar zu sein hat. Was zu Zeiten der Aufklärung in Germershausens Ratgeber "Hausmutter" noch als produktiv gilt, entwickelt sich zum Tabu. Hausarbeit wird unsichtbar, man spricht nicht über sie. Die Einsicht etwa in Vermögensverhältnisse und Geschäfte des Mannes, um ihn vielleicht im Notfall vertreten zu können, wird plötzlich für eine Frau inakzeptabel.

Mit der Gegenwart rechnet Rulffes dann relativ kurz ab, dafür aber präzise. Sie fordert: "Kinderbetreuung, Bildung, Kranken- und Altenpflege sollten in einem Staat absolute Priorität haben." Denn, das offenbart das Buch, die Geschichte der Hausfrau ist keine Frauensache. Sondern eine Frage gesamtgesellschaftlicher Werte. Gerade mit Blick auf die praktischen Weisheiten des 18. Jahrhunderts zeigt sich, dass in den vergangenen zwei Jahrhunderten mehr als ein Narrativ verloren gegangen ist. Care-Arbeit ist unsichtbar, während wir Karriereschritte, Auszeichnungen und das guten Leben gern öffentlich zelebrieren. Vielleicht sollten fürs Erste mehr Bilder von geputzten Fenstern gepostet werden.

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