Englische Literatur:Erlösung vom Gold, Freiheit von Gott

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Endlich wieder da und noch dazu in einer liebevollen neuen Übersetzung: Der meisterhafte kleine Roman der bedeutenden viktorianischen Dichterin George Eliot über den Weber Silas Marner.

Von Gustav Seibt

Am Rand eines verlassenen Steinbruchs lebt in einer Hütte ein einsamer Weber, der nichts hat als seinen Beruf, keine Familie, nicht einmal einen Glauben. Seine calvinistische Gemeinde in einer fernen Stadt hat ihn verstoßen, nach einem falschen Diebstahlsvorwurf. Danach hat er sich in die Einsamkeit zurückgezogen. Als Handwerker ist er erfolgreich, er verdient Geld, das er nicht ausgibt und das zu einem immer größeren Schatz anwächst.

Dieses Gold wird zum einzigen Lebensinhalt des von Gott und Welt verlassenen Handwerkers in seiner von Bäumen beschatteten Behausung, unweit des Dorfes, wo seine Abnehmer leben. Diese betrachten den sonderbaren Menschen mit Furcht und Abscheu, sie verdächtigen ihn sogar der Zauberei, denn er kennt auch die Heilkraft von Kräutern.

Die Eingangsszenerie von George Eliots Roman "Silas Marner", der 1861 zum ersten Mal erschien, kann deutschsprachige Leser vertraut berühren: Der Sonderling in der Natur erinnert an Adalbert Stifter, die Glaubenserschütterung an Gottfried Keller, an beide die vorindustrielle Umgebung.

Und diese Assoziationen greifen nicht fehl: George Eliot, hinter deren männlichem Namen sich die bedeutendste englische Autorin des viktorianischen Zeitalters verbirgt, Mary Anne Evans (1819 -1880), war eine profunde Kennerin der deutschen Kultur, gerade ihrer religionskritischen Seite. Sie schrieb nicht nur Essays zu Goethe und Heine, vor allem übersetzte sie David Friedrich Strauß und Ludwig Feuerbach, die beiden wichtigsten deutschen Kritiker des Christentums. Dass "Silas Marner" alle Spielarten des Religiösen, vom arbeitswütigen Calvinismus über anglikanische Lässigkeit bis zu naturreligiösem Geister- und Wunderglauben aufgreift, hat mit solchen Hintergründen zu tun.

Doch Eliot blieb in ihrer novellistisch zugespitzten Geschichte nicht bei Natur- und Religionsbildern stehen, und das unterscheidet sie von ihren deutschen Zeitgenossen. Die präzise ökonomische Analyse der Weberexistenz wie der umgebenden Gutswirtschaft greift den sozialen Roman nach der Art von Charles Dickens auf, während die Schilderung der ländlichen Adelsgesellschaft noch an Jane Austen erinnert - Eliot hat den Beginn ihrer Geschichte mit klugem Bedacht in die Zeit vor 1815 verlegt, als die napoleonische Handelsbarriere der heimischen Landwirtschaft in England hohe Preise sicherte. Auch die naturalistische Mimikry dörflichen Sprechens weicht von den poetischen Stilisaten nach Art von Stifter oder Keller ab.

Die Handlung ist so spannend, dass es ein Unrecht wäre, sie ausführlich nachzuerzählen. Der Weber Silas wird von seiner goldbewehrten Einsamkeit erlöst, durch einen neuen Schatz, ein Findelkind.

Wie das geschieht und wie Silas dabei zurück in die Welt findet, treibt den mitfühlenden Leser durch allerlei Höhen und Tiefen von Verzweiflung und Versöhnung. Solche Leser hatte Eliot zu ihrer Zeit in Massen, ihre Bücher wurden von Queen Viktoria ebenso verschlungen wie von der wenig betuchten Kundschaft der Leihbibliotheken.

Ihre anderen, viel umfangreicheren Romane, vor allem "Middlemarch", genießen bei englischsprachigen Lesern heute mehr denn je höchstes Ansehen. "Middlemarch" wurde 2015 in einer Kritikerumfrage der BBC sogar zum bedeutendsten britischen Roman aller Zeiten gewählt - noch vor Titeln von Virginia Woolf, Charles Dickens oder Charlotte Bronte. Zeit also, dass sich auch deutschsprachige Leser wieder an diese große Autorin erinnern, die demnächst ihren 200. Geburtstag feiert.

Die liebevoll genaue Übersetzung des "Silas Marner" von Elke Link und Sabine Roth leistet vor allem bei den berühmten mundartlichen Szenen Beachtliches, während der absichtsvoll langsame Beginn mit seinen weitläufigen Satzperioden ein wenig mehr vom Geist eines Stifter hätte gebrauchen können. Der vielfältige Klangreichtum von Eliots Prosa, ihr enormes Register, das noch Henry James entzückte, stellt allerdings höchste Ansprüche.

Gut also, dass dieses herrliche kleine Buch wieder da ist, und dass ein kundiges Nachwort auch neugierig auf die Autorin macht, die nicht nur freigeistig dachte, sondern auch lebte, in einer sogenannten wilden Ehe mit dem Goethe-Biographen George Henry Lewes, die spät einen zwanzig Jahre jüngeren Mann heiratete und die als Journalistin und Redakteurin in modernen Berufen arbeitete.

Ihr Pseudonym war eine Hommage an die Französin George Sand, die Freundin Flauberts. Wer Eliot liest, gerät immer auch in alle möglichen intellektuellen Bezüge des 19. Jahrhundert und wird doch mit Spannung, Rührung und sogar mit Humor belohnt.

George Eliot : Silas Marner. Der Weber von Raveloe. Roman. Aus dem Englischen von Elke Link und Sabine Roth. Mit einem Nachwort von Alexander Pechmann. Ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2018. 239 Seiten, 24 Euro.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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