Englische Literatur:Ein elegischer Sonntag

Lesezeit: 1 min

Graham Swift: Ein Festtag. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2017. 142 Seiten, 18 Euro. (Foto: Verlag)

In seiner Erzählung "Festtag" lässt der englische Autor Graham Swift eine alternde Frau auf die Katastrophe ihres Lebens zurückblicken, die sich an einem einzigen Tag vollzogen hat. Die Elegie und der Zweifel verbinden sich in diesem kleinen schönen Buch.

Von Thomas Steinfeld

Im Englischen gibt es ein anschauliches Wort für diese Art Erzählung. Man nennt sie "romance", und in diesem Wort steckt eine doppelte Bedeutung. Es bezeichnet das Glauben-Machen, das der Literatur zukommt, und die Liebesgeschichte. Und noch ein Wort ist sehr englisch und von prägnanter Symbolik, nämlich der Originaltitel "Mothering Sunday". Er meint weniger den Muttertag (auch wenn die Bedeutungen heute ineinander übergehen) als vielmehr den Sonntag Laetare, den vierten, mit allerhand Frühlingsbräuchen verknüpften Fastensonntag - traditionell der Tag, an dem jeder Gläubige in seine Heimatgemeinde, das heißt in seine "Mutterkirche", zurückkehrte.

Eine Liebesgeschichte erzählt Graham Swift in diesem Buch, das der Verlag einen Roman nennt, das aber eher eine Novelle ist. Es ist ein strahlender Sonntag im Frühling des Jahres 1924, also zwischen den großen Kriegen. Jane, das mutterlose Hausmädchen einer wohlhabenden Familie auf den Lande, verbringt diesen strahlenden Sonntag mit ihrem Liebhaber, dem Sohn einer benachbarten Familie. Es ist ihr letzter Tag als Geliebte, weniger, weil der junge Mann, einer der wenigen Söhne, die der Weltkrieg in dieser Gegend zurückließ, demnächst standesgemäß heiraten soll, sondern vielmehr, weil der Liebhaber vor Ende dieses Tages bei einem Unfall ums Leben kommen wird.

Erzählt wird diese Geschichte von einer viel älteren Jane, die auf das Glück und die Katastrophe zurückblickt, nicht nur auf den Tag, an dem sie sich ereignete, sondern auf eine ganze Lebenswelt, der auf vielfache und schmerzliche Weise alle (scheinbare) Geborgenheit, also gleichsam das "Mütterliche" abhandenkommt. Intensiver als den Ereignissen wendet sich die Aufmerksamkeit dabei den Szenen, den Räumen, dem Licht und den Gerüchen zu. Denn die alt gewordene Jane ist Schriftstellerin, und alles Verlangen nach Geborgenheit - und alle Skepsis der Geborgenheit gegenüber - ist ihr zur Sprache geworden. Darin liegt der Reiz des kleinen, schönen Buches: in der Verbindung des Elegischen mit dem tiefen Zweifel.

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: