Endlich Zeit für...:Eine Geschichte mit vielen Saiten

Lesezeit: 3 min

Steht die Harfe endlich am rechten Ort, ist alles gut. Bis dahin kämpft Silke Aichhorn allerdings oft mit Hindernissen. (Foto: Markus Aichhorn)

Eine gebrochene Hand hielt Harfenistin Silke Aichhorn einige Zeit vom Üben ab, deshalb schrieb sie ein amüsantes Buch über ihren Beruf - und sprach auch die Hörversion ein

Von Sabine Reithmaier

Hochzeiten zählen nicht zu ihren "Lieblingsmuggen", lieber spielt sie auf Beerdigungen. Augenblicklich erholt sich die Harfenspielerin Silke Aichhorn aber vermutlich gerade zu Hause in Traunstein von der "vorweihnachtlichen Bethlehemrallye". Ihr Instrument passt, so will es das Klischee, besonders gut in die besinnliche Jahreszeit und in die Hände einer Frau. Aichhorn weiß um die eingefahrenen Vorstellungen, die auf der Harfe lasten, und entstaubt seit Jahren in ihren Konzerten deren Image.

2018 hat sie sich die Hand gebrochen, konnte also länger nicht spielen. Die Zeit nutzte sie, um ein Buch über ihre Erlebnisse als Harfenspielerin zu schreiben. "Lebenslänglich frohlocken" lautet der Titel; vor wenigen Wochen ist es auch als von ihr eingesprochenes Hörbuch erschienen, die Texte ergänzt durch Harfenmusik quer durch die Jahrhunderte. Darin erzählt sie amüsant und locker von seltsamen Begegnungen, nahezu traumatischen Erfahrungen mit Konzertveranstaltern und anderen Auftraggebern. Und natürlich von der ewigen Angst, nicht rechtzeitig zum Konzert zu kommen.

Früher fuhr sie ab und an auch mit dem Zug. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn damit verbunden ist eine enorme Schlepperei, die Konzertharfe wiegt unverpackt 40 Kilogramm. Wenn der Zug wegen eines Tunnelbrands nicht weiter fahren kann, Stunde um Stunde verrinnt, die Zugbegleiterin verschollen ist und die Musikerin schließlich spektakulär auf offener Strecke am Rheinufer aussteigt und auf ein Taxi wartet - "Treffpunkt Bahnlinie zwischen dem Fähranleger nach Bingen und dem Tunnel, in dem es brennt" - dann braucht es gute Nerven. Letztlich hat es Aichhorn doch noch rechtzeitig zum Konzert geschafft, wenn auch Einspielen, Schminken und Harfe temperieren ausfallen mussten.

Gelegentlich wird es auch mit dem Auto ganz schön knapp, wie in Augsburg, als sie in der Galerie der Katharinenkirche im Schaezlerpalais spielte und den zweiten Innenhof, in dem sie parken sollte, erst zwölf Minuten vor Konzertbeginn fand. Das nicht gerade handliche Instrument musste auch noch über steile Treppen hochtransportiert und gestimmt werden, bevor das Konzert mit einer Minute Verspätung beginnen konnte. Gerade die Geschichte macht klar, dass sich Aichhorn nichts schenkt und nie davor zurückschreckt, an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit geht. Drei Stunden zuvor hatte sie nämlich noch ein Konzert in Bad Wörishofen gespielt, bevor sie dann mit dem Auto zur Augsburger Kunstnacht fetzte.

Das Leben eines selbstständigen Berufsmusikers ist eben nicht einfach. Bloß gut, dass Aichhorn laut Selbstbeschreibung unkompliziert, flexibel und - nicht nur an der Harfe - sehr schnell ist. Eigenschaften, die vielleicht daher rühren, weil sie sich als Älteste von sechs Geschwistern früh einen gewissen Pragmatismus angeeignet habe. So mutmaßt sie jedenfalls selbst. Inzwischen hat sie zwei Kinder, ein eigenes CD-Label, gibt Harfenunterricht, veranstaltet Meisterkurse und Kinderkonzerte, ist Botschafterin des ambulanten Hospizdienstes der Caritas Traunstein und Geschäftsführerin des Regionalwettbewerbes "Jugend musiziert" Südostbayern. Erstaunlich, dass ihr noch Zeit für Konzerte bleibt. Oder die Lesungen, die sie seit Erscheinen ihres literarischen Erstlings auch noch absolviert.

Dass die Harfe ihr Instrument ist, davon war sie schon als Zehnjährige überzeugt. Sie musste allerdings zwei Jahre insistieren, bevor die Eltern ihr ein Instrument zu Weihnachten schenkten. Billig ist das nicht. Die Konzertharfe Aichhorns kostet 37 000 Euro. Da sie aber mit zunehmendem Alter an Spannkraft verliert und ihr die Transporte sowie die Temperaturwechsel zwischen eiskalten Kirchen und überheizten Konzertsälen auch nicht gut tun, wechselt die Musikerin das Instrument im Schnitt alle acht Jahre.

In ihre Albträume verfolgt die Harfe sie nicht. Darin muss sie Konzerte vor großem Auditorium wahlweise mit Klavier oder Posaune spielen. Natürlich findet sie den Konzertsaal nicht, eilt über Treppen oder enge Durchlässe, vermisst die Noten. "Ich bin jedes Mal froh, wenn ich aufwache." Aber eigentlich ist das harmlos im Vergleich zur Realität, wenn ihr etwa die Mutter eines Bräutigams am Vorabend der Trauung mitteilt, sie solle doch nicht nur den Andachtsjodler, sondern zum Rausgehen der Braut auch den "Dritten Mann" spielen. Nächtens verwandelt sie die Zitherstimme mit viel Tippex und Farbe in eine spielbare Harfenversion, nur um am nächsten Morgen zu erfahren, dass der Dritte Mann jetzt doch nicht drankäme, das könne falsch interpretiert werden. Dafür ein Liebeslied zum Schluss. "Moderne Leibeigenschaft ist doch was Schönes", kommentiert Aichhorn. "Und eine gewisse Flexibilität erleichtert auch Tage wie diese ..."

Lebenslänglich frohlocken . Skurriles aus dem Alltag einer Harfenistin. Gelesen und gezupft von Silke Aichhorn. Hörmusik 2019

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: