Alles erinnert fatal an das Jahr 2006, als das Kind schon bei der Taufe in den Brunnen fiel - nur dass der Brunnen diesmal ein paar Nummern kleiner ist. Damals hatte die Stadt Düsseldorf einen neuen, prestigeträchtigen und mit 50.000 Euro hoch dotierten Literaturpreis ins Leben gerufen: den Heinrich-Heine-Preis.
Die unabhängige Jury erkannte den erstmals zu verleihenden Preis dem österreichischen Schriftsteller Peter Handke zu, doch dann legten sich die Stadtväter quer. Wegen Handkes kontroverser Haltung im Balkankrieg wollten sie ihm die Auszeichnung vorenthalten und düpierten damit nicht nur den designierten Preisträger, sondern auch das eigene Preisgericht. Da keine der beiden Seiten einlenkte, eskalierte der Streit, bis Handke freiwillig verzichtete.
Auch im ostwestfälischen Minden, rund 190 Kilometer von der Landeshauptstadt Düsseldorf entfernt, ist Peter Handke nicht willkommen. Am 30. Oktober sollte er dort den mit 15.000 Euro ausgestatteten Candide-Preis entgegennehmen - und auch diese Verleihung wäre insofern eine Premiere gewesen, als der Literarische Verein in Minden, der den Preis auslobt, seit diesem Jahr einen neuen Allein-Sponsor hat, und zwar die im nahen Rahden ansässige Firma Kolbus, ihres Zeichens Weltmarktführer für Buchbindemaschinen, ein global player.
Kolbus und sein geschäftsführender Gesellschafter Kai Büntemeyer hatten große Pläne mit dem Candide-Preis, sogar ein eigener Stand auf der Frankfurter Buchmesse sollte Mindens Ruf als Stadt der Literatur in die Welt hinaus tragen.
Doch von Messe-Präsenz und Preisgeld will Büntemeyer nichts mehr wissen, seit sich die Preisjury, deren Unabhängigkeit im Sponsorenvertrag festgeschrieben ist, augenscheinlich für den falschen Kandidaten entschieden hat.
"Querulant" und "Schizopath"
Peter Handke, so Jury-Mitglied Gerd Voswinkel, sei ihm, gegenüber von Büntemeyer als "Querulant" und "Schizopath" tituliert worden, dessen Wahl sich wegen seiner Sympathien für den Serben-Führer Milosevic schädlich auswirken könnte auf die internationalen Geschäftsbeziehungen der Firma Kolbus, insbesondere stehe ein Boykott der amerikanischen Partner zu befürchten.
Da dies einen Vertragsbruch darstelle, ist die Zusammenarbeit mit Kolbus für den Verein beendet. Nach dem Eklat hatte sich Jury-Mitglied Franziska Augstein zunächst erboten, einmalig einzuspringen und das Preisgeld aus ihrem Privatvermögen zu stiften, ein Angebot, das Handke jedoch nicht annehmen wollte.
Daraufhin trat Voswinkel, der zugleich Inhaber der Marke Candide ist, an den Schriftsteller mit dem Vorschlag heran, ob er bereit sei, die Auszeichnung als ideelle Ehrung ohne Dotierung anzunehmen. Handke ist zum Kompromiss gerne bereit und freut sich über den Preis, will aber verständlicherweise nicht zur symbolischen Übergabe nach Minden reisen. Sollte sich nicht zeitnah ein neuer Sponsor finden, der für Kolbus übernimmt, fällt aber nicht nur die diesjährige Preisverleihung aus, sondern dann gehört der Candide-Preis als solcher der Vergangenheit an.
Ganz im Sinne des Namenspaten
Mag sein, dass Verein und Jury durch die Vorgänge um den Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preis hätten gewarnt sein müssen und allzu blauäugig auf die Nicht-Einmischung des Geldgebers vertrauten. Darin hätten sie allerdings ganz im Sinne ihres Namenspaten gehandelt, des sturznaiven Optimisten Candide, Titelheld des gleichnamigen Romans von Voltaire. Und wie dieser wären sie nun aus jenem Westfalen vertrieben, das Candide allen Ernstes für das Paradies hielt.
Andererseits muss sich auch die Kolbus GmbH in ihrem vorauseilenden Gehorsam fragen lassen, für wie belesen respektive provinziell sie die amerikanischen Maschinenbauer hält, um sich von "Handke - who?" verschrecken zu lassen. "Wenn das der beste aller möglichen Sponsoren ist, dann möchte ich erst die anderen sehen", könnte man frei nach Voltaire die Mindener Provinzposse kommentieren.