"Eine Bildgeschichte der Frauen-Photographie".:Jenseits der Mutter

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Bilder von Frauen, die Frauen betrachten. Ihre Ziele, ob als Fotografinnen oder Modelle, waren so unterschiedlich wie die Frauen. Mal geht es um eine Hommage, mal um Neuerfindung.

Von kiA Vahland

Greta Garbo schaut zurück. Über die nackte, weich gezeichnete Schulter, in Richtung der Fotografin Ruth Harriet Louise. Genüsslich, stolz, verführerisch, tiefenentspannt sieht das aus. Garbo blickt nicht divenhaft herab auf die andere, ordnet sich der Kamera auch nicht unter; sie zeigt sich nackt und nahbar, ohne sich zu entblößen.

Die Fotografie von 1926 ist eine von vielen des Bildbandes "Frauen sehen Frauen", die freier, spielerischer, anziehender sind als alle Klischees davon, wie Frauen zu sein haben, alleine und miteinander. Auf den Porträts aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu sehen sind Schwestern, Freundinnen, Töchter der Fotografinnen ebenso wie ihre Ansichten unbekannter und sehr bekannter Frauen, manches ist inszeniert, manches nicht allzu sehr.

Die Ziele der Fotografinnen und Modelle sind so unterschiedlich wie die Frauen. Mal geht es um eine Hommage wie in Lucia Moholys Bild der alten Sozialistin Clara Zetkin von 1929 oder in Lola Alvarez Bravos Blick auf die sich spiegelnde Malerin Frida Kahlo (um 1944, unsere Abbildung links oben). Mal ist das Ziel, alte Frauenbilder neu zu erfinden wie in Rineke Dijkstras Fotografie eines Mädchens, das wie Botticellis Venus am Strand steht, nur verletzlicher, unsicherer, zarter ( Abbildung rechts). Oder es sind persönliche Aufnahmen: Zwei junge Frauen räkeln sich 1924 auf Germaine Krulls Sofa, die eine in klassischer Pose, zurückgelehnt mit verdecktem Gesicht, die andere lässt den Blick über die Schenkel der Freundin gleiten.

(Foto: Inez van Lamsweerde/Vinoodh Matadin / courtesy Schirmer/Mosel/ VG Bild-Kunst Bonn)

Ginge es nach der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, die den Eingangsessay beisteuert, so suchten Fotografinnen und ihre weiblichen Modelle immer nur zweierlei: den verlorenen Blick der Mutter oder aber die Selbstbespiegelung in einer anderen Frau. Das wirkt angesichts all dieser vor Energie und Sinnlichkeit strotzenden Bilder dann doch unfreiwillig komisch. Nicht einmal Martine Francks Bildnis aus einem Altenheim von 1975 ließe sich auf eine symbolische Mutter-Tochter-Beziehung reduzieren; hier parodiert eine uralte Dame die Fotografin, indem sie mit einer Geste - die Hand vor dem Auge - kommentiert, wie die Fotokünstlerin sich hinter ihrer Kamera versteckt.

Offenkundig sind viele der Akteurinnen darauf aus, das Spektrum der Frauenbeziehungen jenseits der nicht immer unkomplizierten Mutterbindung zu erkunden. Inez von Lamsweerde nennt ihr 1994 entstandenes Bildnis einer langbeinigen Schreibtischraucherin ausdrücklich: "My mother? I'll tell you about my mother, Kym" - "Meine Mutter? Ich werde Dir von meiner Mutter erzählen, Kym" ( unsere Abbildung links unten) - was ja wohl heißt, dass kaum eine Frau gerne mit ihrer Mutter verwechselt wird.

Lothar Schirmer (Hrsg.): Frauen sehen Frauen – Eine Bildgeschichte der Frauen-Photo- graphie. Schirmer- Mosel Verlag, München 2020. 248 Seiten, 40 Euro. (Foto: N/A)

Freiheit beginnt da, wo die Stereotype enden, und das passiert auf den Bildern in diesem Band. Bronfen will krampfhaft jedes Begehren, das dabei aufflackert, sei es platonisch oder sexuell, auf den impliziten männlichen Blick zurückführen. Um den aber geht es hier nicht, oder nur als leise Erinnerung an eine lange Kulturgeschichte. Nun ist der Text, da es sich um eine Wiederauflage handelt, knapp 20 Jahre alt, und damals konnten sich auch viele Kulturwissenschaftlerinnen noch nicht vorstellen, wie vielseitig weiblicher Selbstausdruck einmal werden könnte - man denke an Céline Sciammas virtuosen Künstlerinnen-Film von 2019 "Porträt einer jungen Frau in Flammen". Die Fotografinnen aber wussten von weiblicher Freiheit schon immer. Das zeigt dieser schöne Bildband.

© SZ vom 23.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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