Ein Tag mit Harald Schmidt:Dirty Hamlet

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"Dann kommt die Knallcharge, hat drei geile Auftritte und räumt ab." Harald Schmidt, neues Ensemblemitglied am Staatstheater Stuttgart, probt für eine Shakespeare-Show.

Christine Dössel

Das Staatstheater Stuttgart hat ein neues Ensemblemitglied. Es heißt Harald Schmidt und sieht in seinen violetten Strumpfhosen und dem kniekurzen Ministrantenhemd wie ein spätberufener Eleve aus. Das ist er natürlich nicht.

Rampensau im Rampenlicht: Harald Schmidt spielt am Staatstheater Stuttgart im Hamlet-Musical "Der Prinz von Dänemark". (Foto: Foto: ddp)

Harald Schmidt hat, 30 Jahre ist das nun her, an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst just hier in Stuttgart eine klassische Schauspielausbildung absolviert und war danach, von 1981 bis 1984, am Stadttheater Augsburg engagiert.

Augsburg, okay - das war nicht unbedingt der Bringer. In seiner Antrittsrolle als zweiter Mameluk in Lessings "Nathan der Weise" hatte der Debütant gerade mal drei Worte aufzusagen ("Nur hier herein!"), und größere Textmassen sind auch später nicht hinzugekommen. Gespielt hat er viel, so ist das nicht: "Ich war damals der meist beschäftigte Schauspieler in Augsburg." Ganz harte Schule. Aber: "Immer nur Kleinstrollen. Ich hatte einen extrem beschissenen Start."

Kein Problem, es ist ja, auf dem Umweg über das Düsseldorfer Kom(m)ödchen, trotzdem was aus ihm geworden. Zwar nicht der "Schauspieler des Jahres", welcher der Ehrgeizling Schmidt schon in jungen Jahren ganz unbedingt mal werden wollte, dafür aber ein reicher und berühmter Mann, einer der tollsten deutschen Entertainer - für viele immer noch der beste, allein auf weiter Flur -, ein Fernsehgott, ein Late-Night-Primus und Medienstar, gefeiert für seinen Witz ebenso wie für seinen Intellekt, gefürchtet für sein böses Mundwerk, seinen Zynismus, seine "Dirty Harry"-Häme.

Kein Sesselhocker

Einer wie er könnte sich bei dem, was er erreicht hat, locker im TV-Sessel zurücklehnen, könnte seinen Adlatus Pocher eine schnöde Kanaille und Reich-Ranicki guten Gewissens einen zornigen alten Mann sein lassen und dabei all denen, die ihn je verkannt haben, ein höhnisches "Ällabätsch!" entgegenfeixen, während er vielleicht schon mal die nächste "Traumschiff"-Reise bucht.

Statt dessen steht Harald Schmidt nun mit lila Strumpfhosen und Schnabelschuhen auf einer stickigen Probebühne im Stuttgarter Depot und wartet zwischen Sperrholzteilen geduldig auf seinen Auftritt. Wenn er diesen zehn Minuten später wiederholen soll, vielleicht auch mal "etwas weniger outriert", dann tut er das ohne Spirenzchen, ohne Zickigkeiten, ohne Allüren - mit der Disziplin eines Spaßsoldaten, der sich lustvoll-artig und überaus respektvoll in die gut gelaunte Truppe fügt. Wenn es manchmal so aussieht, als blicke er auf die anderen herab und als schauten diese zu ihm, dem prominenten Fernsehmann, auf, ist das einzig und allein Schmidts stattlicher Körpergröße geschuldet, mit der er alle überragt.

Der Regisseur der Produktion, der junge Schauspieler Christian Brey, den sie hier alle Chrissi nennen, geht ihm gerade mal bis zur Brust. Und weil Chrissi seine Anweisungen - es sind bei ihm eher freundschaftlich geraunte Anregungen - nicht vom Regietisch aus gibt, sondern im leisen Zwiegespräch face-to-face, ist der Anblick nicht ohne Komik: als nehme es ein Zwerg mit einem Riesen auf, der wider Erwarten völlig handzahm ist.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Harald Schmidt lieber Knallcharge als Charakterdarsteller ist.

Harald Schmidt geht zurück zu Sat 1
:Pokerface

Wer ist der Mann, der alle Nase lang den Sender wechselt, und doch zu einer der großen Konstanten im deutschen Fernsehen gehört? Wir haben ein paar erstaunliche Gesichter an ihm entdeckt - die Bilder.

Was sie hier sehr entspannt im kleinen Kreis von sieben Schauspielern proben, ist einer der größten Stoffe der Weltliteratur: Shakespeares "Hamlet" - die ganze Tragödie in nur neunzig Minuten, aufbereitet als Musical unter dem boulevardtauglichen und laut Schmidt "deutlich frauenaffineren" Titel: "Der Prinz von Dänemark". Es sieht ein bisschen nach Parodie aus, soll aber erklärtermaßen keine sein.

"Ein Konzentrat" nennt es der unfassbar gut aussehende Hamlet-Darsteller Benjamin Grüter, gewissermaßen ein Best-of. Harald Schmidt spricht von einem "musikalisch aufgemotzten Schauspielführer" als Beitrag zum Stuttgarter Spielzeitmotto "Generation Hamlet", und zwar durchaus in dem Stil, was anderswo "Cats" oder "Mamma Mia" heißt.

Auf die Idee dazu ist er bei einer dramaturgischen Einführung zu Jürgen Goschs Düsseldorfer "Was ihr wollt"-Inszenierung gekommen. Zur Vorbereitung seien sie dann nach Hamburg gefahren: Freitag das Udo-Jürgens-Musical "Ich war noch niemals in New York", Samstag Thalheimers "Hamlet" am Thalia - "und dann stand eigentlich das Konzept". Hehehe, schickt er grinsend sein berühmtes Schmidt-Lachen hinterher, mit dem er alles ins Ironische zieht.

Die Strichfassung auf Grundlage der Schlegel-Tieck-Übersetzung - die mit dem höchsten Wiedererkennungsfaktor - hat Schmidt im Team mit Chrissi Brey und dem Dramaturgen Frederick Zeugke selber erstellt: 30-Din-A-4-Seiten, konzentriert auf die Mord- und Liebesgeschichte, "aber alles Wichtige drin".

Auftritt Schmidt als Polonius, Oberkämmerer am Hof von Helsingör: eine fiese, betont selbstgefällige Type, die sich mit einer Pergamentrolle in der Hand als oberwichtiger Geheimnisfackelträger geriert und ausgedehnt lange Kunstpausen einlegt, bis ihn Königin Gertrud (Marietta Meguid) genervt zu mehr Inhalt ermahnt.

Bekennender Wirkungstiger

Die Zeilen, die er zum Beweis für Hamlets angebliche Geistesverwirrtheit vorliest ("Zweifle an der Sonne Klarheit / Zweifle an der Sterne Licht ...) intoniert er melodisch im Stil von "Marmor, Stein und Eisen bricht" mit einem finalen "Tamtam", und wenn er sich ärgert, was dieser Polonius ziemlich oft tut, dann stampft Schmidt wie ein Rumpelstilzchen mit beiden Beinen auf den Boden auf und gibt die Zisch- und "Arrrgh"-Laute einer Comicfigur von sich.

Mit einem ernsthaften Charakterdarsteller, einem Tragöden gar, haben wir es hier nicht zu tun, so viel ist nach wenigen Eindrücken klar. Vielmehr ist Harald Schmidt jene ratternde Knallcharge, die er gar nicht leugnet, zu sein. Oder sein zu wollen. Hauptrollen, sagt er, hätten ihn nie interessiert: "Was da alles an Monologen abgeliefert werden muss! Wie müht sich da einer ab. Und dann kommt die Knallcharge, hat drei geile Auftritte und räumt ab." Viele Schauspieler, glaubt er, würden sich's sehr viel einfacher machen, wenn sie sich eingeständen, großartige Chargenspieler zu sein, "was ja schon mal nicht wenig ist".

Schmidt war in dieser Hinsicht schon immer ein bekennender Wirkungstiger, dem der Truffaldino im "Diener zweier Herren" oder der Dottore mit der Riesenspritze näher lag als der Nathan oder der Prinz von Homburg: "Ich habe nie im Leben einen großen Lacher hinterfragt, und ich würde eine Figur jederzeit dafür verraten."

Wer so spricht, weiß ganz gut einzuschätzen, was er kann und nicht kann. "Natürlich bin ich kein Verwandlungsschauspieler", sagt Schmidt später in seiner nüchtern-schmucklosen Garderobe, in der nicht einmal ein Glühbirnenrahmen das eigene Spiegelbild verklärt. "Wenn ich spiele, dann ist es immer: Harald Schmidt als ... Alles andere würde auch gar nicht funktionieren. Dazu bin ich zu fernsehbekannt. Wenn man so lange Late Night gemacht hat wie ich, wittert das Publikum hinter jedem Satz eine Ironie, auch wenn da gar keine ist."

Im "Hamlet"-Musical muss man die Ironie gar nicht erst wittern, wird sie doch in Gag-Häppchen genüsslich auf dem Silbertablett serviert. Etwa wenn der junge Hamlet dem Polonius Schmidt spitz unter die Nase reibt, was er davon hält, wenn "alte Männer im Oktober ihrer Fernsehkarriere Shakespeare-Texte daherstammeln, die sie lieber richtigen Schauspielern überlassen sollten". Oder wenn Schmidt auf Hamlets Weigerung, über den Inhalt seiner Lektüre Auskunft zu geben, genervt ruft, als adressiere er Oliver Pocher: "Sag mal, bin ich Elke Heidenreich?! Was steht da in dem Buch?" Da ist dann nur noch die ulkige Kostümierung Theater - der Rest ist originaler Schmidt.

So hat Harald Schmidt "im Oktober seiner Fernsehkarriere", ohne sich verbiegen oder neu erfinden zu müssen, doch noch in jenen Guckkasten gefunden, der für ihn seit ehedem das Traumziel war. Schon einmal, 2002 in Becketts "Warten auf Godot" am Schauspielhaus Bochum hat er diesen Sprung versucht, als er in Matthias Hartmanns Regie den Lucky spielte, einen Sklaven am Gängelband seines Herrn. Er brachte es damit immerhin zum "Nachwuchsschauspieler des Jahres". Aber erst jetzt, als Schauspieler am Staatstheater Stuttgart, erlebt er die "totale Erfüllung", das sagt Schmidt ohne jeden Grinser.

Lesen Sie auf Seite 3, wovor selbst der Mann, dem sonst nur wenig heilig ist, noch Ehrfurcht hat.

Aufgewachsen in Nürtingen, 17 Kilometer von Stuttgart entfernt, ist er hier zur Peymann-Zeit ständig ins Theater gerannt: "Eigentlich jeden zweiten Tag. Was anderes hat mich kaum interessiert." Allein den Elvis-Memorial-Abend mit Peter Sattmann, der damals, in der heißen Phase des Deutschen Herbsts, auf Peymanns Spielplan stand, sah der Schauspielschüler Schmidt dreizehnmal. Als er voriges Jahr nach einer Benefizveranstaltung im Stuttgarter Schauspielhaus noch bis spät in die Nacht mit den Leuten vom Theater zusammensaß und davon erzählte, wurde die Idee geboren, diesen Abend wiederaufleben zu lassen.

So entstand die Polit-Revue "Elvis lebt. Und Schmidt kann es beweisen", die 2007 im Rahmen des RAF-Projekts "Endstation Stammheim" Premiere hatte, mit Schmidt als singendem, satirisch launigem Conférencier. Es war ein Riesenerfolg - um seine Aufnahme ins Ensemble hat er daraufhin selber gebeten.

Er schätzt die Atmosphäre an Hasko Webers Haus - "dass hier nicht so ein Hype abläuft" -, hat einen Mordsrespekt vor seinen Kollegen. Diese loben umgekehrt die gute Laune und Selbstverständlichkeit, mit der er bei der Sache ist, sein Interesse an allen Produktionen und Abläufen, sein immenses Theaterwissen, und das hat er wirklich, man kann bis tief in die Nacht mit ihm über Inszenierungen, Regisseure, Kantinenklatsch reden.

Alles toll

Harald Schmidt mag eine gelernte Rampensau sein, aber der Typ Promi, der im Arbeitsprozess eine Personality-Show abzieht, ist er nicht. Die Ehrfurcht vor dem Apparat Theater steht ihm bei den Proben förmlich ins Gesicht geschrieben, und er macht aus seiner Begeisterung auch gar kein Hehl: "Ich finde so eine Ensemblesituation ja toll - auch dieses ganze Staatstheatersystem mit Pförtner, rotem Vorhang, Türschließerin: toll! All das, wogegen junge, wilde Kräfte ankämpfen, verteidige ich mit Gewalt." Dafür sei er in seinem Kabarettistenleben viel zu lange "in Kellern und Mehrzweckhallen herumgekrochen". Am Nachmittag ist Ensembleversammlung, da geht er natürlich hin: aufgeregt freudig wie ein Primaner am ersten Schultag.

Am selben Abend geht es dann für den Soundcheck zum ersten Mal auf die große Bühne, auf der sich die Schauspieler erstmal zurechtfinden müssen. Bühnen-, Ton-, Beleuchtungs- und Rüstmeister geben Anweisungen, alle scharen sich um eine Tischversenkung im Boden und besprechen die Totengräberszene, in der, soviel sei schon mal verraten, Harald Schmidt seinen Kopf für Yoricks Totenkopfschädel hinhalten wird, war der tote Yorick doch auch ein veritabler Spaßmacher vor dem Herrn.

Wenn dann endlich ein paar Liednummern aus dem Musical geprobt werden, wird die Stimmung richtig gut - von "Sympathy for the Devil" von den Stones bis Madonnas "Papa Don't Preach" ist jede Menge Pop- und Schlagergut dabei, selbst Mozart flechten sie ein. "Im Grunde haben alle ihre Lieblingssongs noch aus der CD-Zeit angeschleppt, und die haben wir dann eingebaut", verrät Schmidt, der in seiner zweiten Rolle als der Geist von Hamlets Vater wie ein Christkind im Nebel erscheint und im Summton "Tränen lügen nicht" anstimmt.

Zwar hat das Theater Harald Schmidt zurückgewonnen, dem Fernsehen will er aber trotzdem treu bleiben. Erst recht seit der Philippika von Reich-Ranicki: "Weil ich sage: Jetzt muss unser geliebtes Fernsehen verteidigt werden, und zwar genauso wie es ist."

© SZ vom 18./19.10.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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