Ein Autor und sein Amazon-Verkaufsrang:Platz 5228

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"Hilfe, ich bin Amazon-Verkaufsrang-süchtig!": Die Leidensgeschichte eines Autors in Internet- und Ranglistenzeiten.

Gerhard Matzig

Ja, hallo, also . . . ich bin der Gerhard . . . und, also, ich bin süchtig. Ich bin ein Amazon-Ranking-Junkie.

Jetzt ist es raus. Endlich Fühlt sich gut an. Das Wichtigste ist doch immer der erste Schritt. Das gilt für Alkohol, für Zigaretten, für Sex- und Arbeits- und Spielsucht .. und , nein, es nicht anders beim Dauerklicken auf den Verkaufsrang beim Internetbuchhändler Amazon. Wobei man sagen muss: Im Gegensatz zu den wirklich ernsthaften Süchten sollte man sich doch relativ leicht vom Verkaufsrang-Klicken befreien können. Oder?

Aber ich brauche Amazon. Denn Amazon nährt meine Selbstzweifel. Meine Zweifel in meiner Eigenschaft als junger, na, mittelalterlicher Autor. Es ist nämlich so: Ich habe ein Buch geschrieben und das liegt seit letzten Montag bei den Buchhändlern, also auch bei Amazon. Und dort, bei Amazon, führt man eine Liste. Und auf dieser Liste, Sekunde, ich klicke mal eben . . . auf dieser Liste werde ich soeben, es ist Mittwoch, der 10. März, 16 Uhr 43, auf Platz 5228 geführt.

Richtig, das heißt, dass es Millionen von Büchern gibt, die weniger oft gekauft werden als meines, welches übrigens, ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, gerade auf Platz 5228 geführt wird.

Platz 5228, sagt mir mein sieben Jahre alter Sohn, heißt aber auch: "5227 Bücher sind besser als deines." Ein Siebenjähriger, der in seiner zehn Siebenjährige umfassenden Fußball-im-Hort-Liga noch nie schlechter war als Platz 10, findet zu Recht, dass er sich über einen Vater auf Platz 5000-und-irgendwas große Sorgen machen muss. Ich mache mir auch große Sorgen. Denn wie jeder Autor will ich einen Bestseller schreiben, meinen Job kündigen, meinen Kindern und meiner Frau imponieren und sozusagen als Summe all dessen bei Amazon auf Platz 1 sein. Auf Platz 1 ist, Moment, ja, immer noch: "Hummeldumm: Das Roman". Warum hat mein Verleger nicht die Kühnheit besessen, mein Buch im Untertitel "Die Buch" zu nennen? Vorbei. Es ist vorbei. Ich hatte meine Chance. Aber besser noch mal nachgucken, Moment, 17 Uhr 02, nein, es tut sich nichts, immer noch Platz 5228.

Das Suchtverhalten sieht seit Tagen so aus: Morgens, um sechs Uhr zehn klingelt der Wecker und meine Frau springt gutgelaunt aus dem Bett. Dann höre ich die Dusche. Das ist wichtig. Weil ich im akustischen Schutz des Rauschens den Mac unter meinem Bett hervorhole, ihn hochfahre, um mir meine erste Dosis Verkaufsrang zu verpassen.

Danach seufze ich und stelle mich schlafend. Heimlichkeiten sind typisch für Abhängige. Meine Frau durchschaut mich. Das tut sie immer. Aber seit Montag hat ihr Blick etwas Angewidertes. Ich glaube, sie fände es nicht so schlimm, wenn ich die Seite Superjuggs im XXX-Internet besuchen würde. Dass ich mich selbst amazone, findet sie viel anstößiger und bemitleidenswerter. Ist es natürlich auch. Sie hat ja Recht. Und mein Verlag hat auch Recht. Dort sagt man mir, dass Amazon nur einen Bruchteil des Marktes abbilde. Ich solle mir mal gar keine Sorgen machen.

Es gehört aber zur Sucht, nicht auf Freunde zu hören. Man isoliert sich mit der Zeit. Freunde rufen an und wollen über das Wochenende sprechen, ich sage aber erst mal "Platz 7304" oder "Platz 3560" oder, furchtbar, "Platz 21307". Sie wenden sich peinlich berührt ab, als hätte man eine Fahne, obwohl man doch nun wirklich mal ein paar Stunden trocken bleiben wollte. Ich frage mich, ob es anderen Autoren auch so geht. Ob es vielleicht auch eine Sichselbstgoogeln-Selbsthilfegruppe gibt? Oder die Anonymen Amazoner?

Autoren, die nicht Schätzing oder Schirrmacher heißen, können vielleicht meine Sorgen teilen. Ich amazone mich, Moment, hm, wie gehabt: 5228, irgendwie schockgefroren, also ich amazone mich und erfahre, dass Leute, die mein Buch gekauft haben, auch "Allein unter Gurken" kaufen, danach werden einem die "beliebtesten Kategorien aus Drogerie & Körperpflege" angeboten. Ranking überall. Im Augenblick führt der Trimmer für Herren, der Remington MB320C. Das ist der Hummeldumm unter den Trimmern.

Ich brauche keinen Trimmer, ich brauche Platz 5227. Man verkommt übrigens mit der Zeit. Man schläft nicht, man isst nicht, man trimmt sich nicht, man klickt nur. Die Kinder wenden sich ab, die Frau wendet sich ab. Dem Süchtigen ist das alles egal. Er ruiniert sich. Er kann nicht anders. Es ist jetzt, Moment, 17 Uhr 20. Noch immer Platz 5228. Und jetzt, 17 Uhr 22, Moment, klick: 5228. Zum verzweifeln. Das ist mein Murmeltiertag auf Amazon.

Ich greife zum Äußersten und bestelle für das Geld, das ich der Haushaltskasse entwende, fünf Bücher auf einmal bei Amazon. Es sind Stützkäufe. Griechenland, Großbanken und Matzig: Die darf man nicht fallen lassen. Sie sind systemrelevant. Ich richte folglich ein Amazon-Konto ein. Ich brauche ein Stichwort. Kein Problem: "BESTSELLER ". Dann schicke ich die Bestellung ab: Fünf mal "Matzig". Wenn das rauskommt, ist das ein Skandal. Auch nicht schlecht. Hat beim Axolotl auch geklappt. Der Roman "Axolotl Roadkill" liegt, Augenblick, auf Platz 129. Dann warte ich. Und warte. Dann, 17 Uhr 29: Platz 5228. Meine Frau kommt eben nach Hause, sieht, dass ich bei Amazon bin, geht nach oben, packt die Koffer, ich müsste sie aufhalten, aber, Moment, 17 Uhr 31: Platz 5228. Ich werde wahnsinnig. Bitte, ich brauche Hilfe . . .

Das Buch des Autors Gerhard Matzig heißt übrigens: "Meine Frau will einen Garten", ist bei Goldmann erschienen - und ist definitiv NICHT nur über Amazon zu beziehen.

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