DVD-Kolumne "Mediaplayer":Unerklärlich

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"The Outsider" ist eine tolle Serie nach Stephen King. Über Amerika, das weite Land der Schmerzen - und über das Böse, das rational nicht erfassbar ist.

Von Fritz Göttler

Ihr geht da jetzt hin und verhaftet ihn vor allen Leuten, weist der Kriminalbeamte Ralph Anderson die beiden Polizisten an. Die steigen folgsam aus dem Wagen, gehen an den Spielfeldrand, wo zwei Schülerteams gerade ein Baseballmatch absolvieren, und legen dem Trainer Terry Maitland Handschellen an. Ralph bleibt im Hintergrund, nur mühsam unterdrückt er seinen Abscheu und seine Aggression. Ich hoffe, er leistet Widerstand, hatte er seiner Frau gesagt, als er ihr die Verhaftung ankündigt. Amerika, das weite Land der Schmerzen, so kennt man es aus den Romanen von Stephen King. "The Outsider" wurde voriges Jahr als zehnteilige HBO Serie verfilmt, lief auf Sky, ist nun auf DVD erschienen.

Terry ist Englischlehrer in der kleinen Stadt Flint und trainiert das Baseballteam der Schule, auch Ralphs Sohn gehörte dazu. Nun steht Terry unter Verdacht, einen Jungen im Wald grausamst umgebracht zu haben, Augenzeugen haben ihn gesehen, mit blutverschmiertem Mund, es gibt Fingerabdrücke und DNS-Spuren und Aufnahmen auf Überwachungskameras. Die Stadt ist in Aufruhr, Terrys Frau und seine Töchter werden angefeindet, Reporter tauchen auf. Es wird im Verlauf der Ermittlungen andere Fälle ermordeter Kinder geben, Missbrauch in seiner ultimativen Form.

Stephen Kings Romane sind moderne Mysterienspiele

"Hast du auch meinen Sohn angerührt?", will Ralph von Terry wissen, als er ihn nachts in der Untersuchungshaft aufsucht. Man muss Ben Mendelsohn, der Ralph spielt, unbedingt im Original hören, diese rauchige Stimme, die ihren sanften Grundton verdrängen will, indem sie jeden zweiten Satz durch ein langes äh hinauszögert. Das Land der Schmerzen und, daraus resultierend, der Schuldgefühle. Ralph hat als Vater versagt. Sein Sohn ist im Jahr zuvor gestorben, fünfzehn Jahre alt, an Krebs.

Stephen Kings Romane sind moderne Mysterienspiele, das Böse dringt hier in die Gegenwart ein, es besetzt die Körper der Menschen, malträtiert und kontrolliert sie, hält sich so am Leben. Die Rationalität ist am Ende, es bleiben Verzweiflung und Ausweglosigkeit. "I have no tolerance for the unexplainable", sagt Ralph, anfangs, keine Toleranz für den Glauben ans Unerklärliche, aber das kann er nicht durchhalten. Am Ende, nach einem blutigen Chaos, muss die Wahrheit konstruiert werden.

Das Unerklärliche bleibt unerklärt. Terry Maitland war, als der Mord passierte, auf einer Tagung in einer anderen Stadt, auch dafür gibt es forensische Beweise.

In einem Beitrag des DVD-Begleitmaterials sieht man die Masterminds der Serie ihr Werk erläutern, den Produzenten Andrew Bernstein, Jason Bateman, der Terry Maitland spielt und die ersten beiden Folgen inszenierte, Stephen King natürlich, Richard Price, der den Roman adaptierte, der Krimiautor Denis Lehane, der zwei Folgen schrieb, Cynthia Erivo, die Holly Gibney spielt, die zu den Fällen hinzugezogen wird, eine exzentrische Ermittlerin, der man in Kings Roman "Mr. Mercedes" zum ersten Mal begegnete. Sie alle erzählen lustvoll von der unheimlichen Entität, die durch die Geschichte geistert, dem Doppelgänger, body snatcher, Gestaltwandler, der den putzigen Namen El Cuco trägt.

Holly ist diesem El Cuco näher als alle anderen, sie ist der andere, der eigentliche Outsider. Eine schwarze Frau, mit unheimlichen intellektuellen Kräften. Wenn sie spricht, spürt man bittere Verachtung, die ihr Leben bestimmt.

Und sich tarnen muss als robuste Rationalität. Was die Serie so fantastisch macht, so verstörend dicht, sind nicht die vertrackten Konstruktionen Kings und die moralische Spekulation dahinter, sondern, wie diese sich spiegeln in der Realität Amerikas, das, bei King und in der Serie, immer das Amerika Donald Trumps ist. Traumata und Verdrängungen, bodenlose Einsamkeit, die der Frauen zumal, und wie eine Solidarität daraus werden muss.

Die Regisseure kommen im Begleitfilm nicht zu Wort. Es sind drei Frauen unter ihnen, drei Profis, die schon lange im Fernsehen oder Kino arbeiten, Daina Reid, Charlotte Brändström und Karyn Kusama, die mit "Girlfight" (2000) bekannt wurde und zuletzt "Destroyer" mit Nicole Kidman drehte. Sie liefern ihre eigene Variante von Kings mystischem Realismus, seinem Versuch einer Psychoanalyse des Bösen, loten den Schmerz der betroffenen Menschen aus, ihre Verlorenheit zwischen den stummen Objekten, ihre Impulse und Verdrängungen. Ihre Verzweiflung, wenn sie sich selbst verlieren, ihre Versuche, die Attacken auf ihren Körper abzuwehren. Wenn wir eine Erkältung haben, sagt einer, der betroffen ist, reden wir uns immer ein, wir würden schon fertig damit. Mind over matter! Erkältung, Grippe, Virus, Krebs... natürlich gelingt das nie.

The Outsider 1. Staffel , DVD & VoD, Warner.

© SZ vom 27.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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