Im Kinderzimmer hat André (Robert Hunger-Bühler) eine Pandamaske seiner Enkel gefunden und setzt sie auf, um Meredith (Barbara Auer) spielerisch zu wecken: "Ich muss noch ins Büro, also wenn ich dir noch die Haare färben soll ..." Eine große Vertrautheit spricht daraus. Das zärtliche Necken, bevor er ihr die grauen Haare färbt, kennzeichnet eine Ehe, die nach 35 Jahren immer noch keine Routine ist, in der Erotik und Sex eine wichtige Rolle spielen.
So will man doch altern: attraktiv, sportlich und bestens situiert. Barbara Auer und Robert Hunger-Bühler verleihen ihren Figuren mehr Sinnlichkeit, als sie älteren Menschen im Kino gewöhnlich zugestanden wird. Meredith und André erscheinen als Liebespaar; und ihr Haus - es ist modern und stilvoll, André Architekt - ist die Festung dieser Liebe. Wenn Meredith es betritt, fiept allerdings jedes Mal eine Alarmanlage. Sie muss einen Code eingeben, damit die Anlage Ruhe gibt. In diesem zurückhaltend inszenierten Film ist das eine deutliche Warnung: Hier gibt es etwas zu holen - und für die Bewohner - zu verlieren. Innerhalb dieser Mauern, in diesem unverschämt gutbürgerlichen Ambiente, sollte sich niemand zu sicher fühlen.
"Vakuum" ist ein Film über Veränderung als Verlust. Die Bilder sind in ein graues Winterlicht getaucht. Und wenn Meredith im leeren Pool Blätter zusammenkehrt, verkündet alles Ende und Abschied. Durch einen Zufall erfährt Meredith, dass sie HIV-positiv ist. Als kein Zweifel an der Diagnose mehr bestehen kann, sie herausgefunden hat, dass keine OP, keine Bluttransfusion die Infektion verursacht hat, dann erst verdächtigt sie ihren Mann.
Er hat seine Frau im Bordell betrogen und mit HIV infiziert
Der Fall des "Londoner Patienten", der durch eine Stammzellentransplantation offenbar vom Aids-Erreger befreit wurde, hat das Thema HIV, das aus der Öffentlichkeit ziemlich verschwunden war, wieder ins Gespräch gebracht. Da kommt ein Film wie "Vakuum" gerade recht, der jenseits von Heilsversprechen das Leben mit HIV nüchtern beleuchtet. Es gibt viele realistische Details im Film: etwa Meredith' Übelkeit, nachdem sie ihre Medikamente genommen hat. Ihre Angst, ihre Einsamkeit und Sprachlosigkeit. "Gibt es irgendjemand, mit dem Sie darüber reden können?", fragt der alte Arzt, der sie betreut. Auch wenn die Krankheit, zumindest im Westen, nicht mehr zum Tode führt, sie durch Medikamente in Schach gehalten werden kann, ist eine HIV-Infektion eben immer noch keine Krankheit wie jede andere. Erst recht nicht in den Kreisen, in denen Meredith und André sich bewegen.
Wenn das, was das Leben zig Jahrzehnte ausgemacht hat, plötzlich in die Brüche geht, was macht man mit den Scherben? Die Schweizer Regisseurin Christine Repond, die schon mit ihrem Erstling "Silberwald" (2011) angenehm aufgefallen war, erkundet präzise das Zerbrechen des Vertrauens und die Leere, in die Meredith stürzt, in jedem Blick, jeder Geste ihrer großartigen Hauptdarsteller. Barbara Auer und Robert Hunger-Bühler sind dabei bemerkenswert uneitel. Eine zentrale Auseinandersetzung etwa verlegt die Regisseurin ins Bad. Die Schauspieler sind beide nackt, als Meredith André mit ihrer Entdeckung konfrontiert, dass er offenbar regelmäßig ins Bordell gegangen ist, sie - ungeschützt - mit Prostituierten betrogen hat. Die körperliche Nacktheit hat dabei nichts Erotisches, sie lenkt nicht ab, sondern unterstreicht nur, wie ungeschützt, ausgeliefert und emotional entblößt die Figuren sind.
Meredith wirft André aus dem Haus und stürzt in das titelgebende "Vakuum". Der Film studiert, wie sie damit umgeht, dass nun alles fehlt, was ihr wichtig war. Schließlich zieht André wieder zu Hause ein. Er liebt sie. Sie liebt ihn. Aber hält die Liebe einen solchen Verrat aus? "Warum können wir nicht mehr so leben wie früher?!" sagt er. Da sitzen beide im Kinderzimmer, auf Kinderstühlen, und man hat fast das Gefühl, sie wollten sich wie Kleinkinder die Hände vors Gesicht halten, damit sie unsichtbar werden.
Vakuum , Schweiz 2018 - Regie: Christine Repond. Buch: Ch. Repond, Silvia Wolkan. Kamera: Aline László. Schnitt: Ulrike Tortora. Mit: Barbara Auer, Robert Hunger-Bühler. Realfiction, 80 Minuten.