Doku über junge "Bullriders" im Kino:Wilder Ritt

Lesezeit: 2 min

Bullriding Girl: Die neunjährige Ariyana Escobedo mit Trainingsgerät - im Wettkampf sitzt sie auf echten Stieren. (Foto: Port au Prince Verleih)

Mädchen beim gefährlichen Rodeo in den USA: die Doku "Glitzer & Staub" von Anna Koch und Julia Lemke.

Von Magdalena Pulz

Bullriding sei wie ein Tanz, sagt die neunjährige Ariyana Escobedo. "Der Bulle bewegt sich. Und du bewegst dich mit." Aber wenn das Mädchen auf dem Rücken eines Stieres sitzt, erinnert nur wenig an einen Tanz, außer vielleicht den Arm, den Ariyana erhoben hält wie eine Flamenco-Diva. Staub spritzt, das Tier wirft sich herum, knurrt und grollt, ein Gladiatorenkampf zwischen Kind und Ungeheuer.

Acht Sekunden muss sich die Reiterin auf dem Rücken eines total ausrastenden Stiers halten, seinem Springen, Haken, Buckeln und der Schwerkraft widerstehen, festhalten darf sie sich nur mit einer Hand. Nur dann wird von den Preisrichtern überhaupt bewertet, inwiefern die Rhythmen von Mensch und Tier harmonieren, Haltung und Bewegung. Bullriding ist die gefährlichste der Rodeo-Sportarten: Dass jemand von den stampfenden Hufen der mehr als eine Tonne schweren Bullen getroffen wird, passiert häufig; dass jemand unkontrolliert abgeworfen wird, noch öfter. Ein guter Bullrider braucht also Wagemut, Erfahrung, Technik. Aber vor allem auch Kraft.

Aber nicht nur starke Männer reiten Stiere. Es gibt sie auch, die weiblichen "Bullrider". Die Dokumentation "Glitzer & Staub" zeigt vier Mädchen und junge Frauen, die Rodeo-Sport betreiben, drei davon Bullriding. Die neunjährige Ariyana trainiert mit ihrem kleinen Bruder in Arizona, die 17-jährige Tatyanna und ihre zwei Jahre jüngere Cousine Altrayikia gehören zum indigenen Navajo-Volk und reiten im Reservat. Alle drei sind vielleicht nicht die ersten Bullrider ihrer Familie, aber doch eine Besonderheit, und wissen das auch.

Im Ring werden sie als Sensation angekündigt. Die Wettbewerbe sind auf eine amerikanische Art martialisch, geprägt von Marlboro-Männlichkeit: Jeans, Cowboy-Schuhe, gefranste Chaps, nur der Cowboy-Hut wird für den kurzen Ritt gegen einen vergitterten Helm ausgetauscht. Ein bisschen Western-Nostalgie eben, eine faszinierende Schnittstelle zwischen Kultur, Sport und der Lebenswelt von Farmern in den USA. Allein für einen Einblick in diese Welt lohnt sich der Film schon.

Die Mädchen sind selbstbestimmte Frauen, deren Mut kein Pathos birgt

Anna Koch und Julia Lemke arbeiten seit dem Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin zusammen, ihre erste gemeinsame Dokumentation "Schultersieg" handelte von Ringerinnen. Damals begleiteten sie ebenfalls vier junge Frauen bei ihrer sportlichen Ausbildung. Es sind Geschichten weiblichen Empowerments: In "Glitzer & Staub" lassen sie ihre jungen Protagonistinnen für sich selber sprechen, ohne zu kommentieren, und zollen ihnen so Respekt. Die Mädchen sind keine Freakshow, sondern selbstbestimmte Frauen, deren Mut kein Pathos birgt.

Gleichzeitig: Bullriding und der Rodeo generell sind hierzulande nicht gerade verbreitet. Vielleicht hätte es der Doku ab und an gut getan, ein paar Grundsätze klar zu erklären: die Regeln, oder auch die Historie des Sports. Trotzdem ist die Offenheit des Films auch angenehm, weil sie Platz für eigene Interpretationen lässt: über Familie, Sexismus, über das Leben im Reservat, Armut und Ruhm.

Die Bilder lassen einen so schnell nicht mehr los: Ein neunjähriges Mädchen, das einen riesenhaften, tobenden Stier reitet, ist monumental wie ein barockes Kriegsgemälde - und taugt schon fast zu gut als feministische Metapher. Aber das eben nur, solange dem Kind nichts passiert.

Glitzer & Staub , D 2020 - Regie und Buch: Anna Koch, Julia Lemke. Kamera: J. Lemke. Schnitt: Carlotta Knittel. Port-au-Prince Films, 97 Minuten.

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: