Diskussion über Avatar:Sie ist eine Maschine und sie sieht gut aus

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Ist nicht langsam alles gesagt über Avatar? Warum die Kritiker nicht ruhen wollen, solange der Film in den Kinos läuft.

Tobias Kniebe

Ist nicht langsam alles gesagt über "Avatar", den Film, der nicht aus den Kinos weichen will? Man sollte es meinen. Aber die Zuschauer kaufen immer noch hartnäckig Tickets, der aktuelle Weltkassenstand liegt bei 2,6 Milliarden Dollar Einnahmen.

Das ist, lässt man die Inflation mal beiseite, schon bald eine Milliarde mehr als seinerzeit bei "Titanic". Und solange an dieser Front kein Ende abzusehen ist, dürfen natürlich auch die Intellektuellen nicht ruhen, müssen jeder Anspielung nachgehen, jede Wendung der Geschichte immer wieder neu auseinandernehmen.

Denn wie toll wäre das denn - an einem Phänomen, das nun wirklich jeder gesehen hat, noch diese eine verborgene Bedeutungsfacette zu entdecken, für die alle anderen zu blind waren?

Das funktioniert natürlich nach altbewährt-dialektischem Muster: Erst einmal wird James Camerons nun wirklich unübersehbare, fast peinigend offensichtliche Botschaft des Anti-Militarismus und Anti-Kolonialismus gewürdigt, seine Feier der Natur und des weiblichen Urprinzips begrüßt. Was ungefähr, kann man annehmen, auch die Reaktion des durchschnittlich liberalen Kinogängers ist.

Dagegen müssen natürlich die Rechten reflexartig aufbegehren, um in "Avatar" eine liberale Rachephantasie zu sehen - eine Art "Mann sieht rot" für wildgewordene Umweltschützer und Neo-Hippies, so schäumte etwa der konservative amerikanische Blogger John Nolte. Dieser Teil ist, in all seiner Banalität, nach gut zwei Wochen erledigt.

Den schlaueren Kommentatoren fällt dann ein innerer Widerspruch auf: Da dreht einer, finanziert von einem ausbeuterischen Riesenkonzern, den bisher technologisch avanciertesten Blockbuster - und hat dann nichts Besseres zu tun, als ausbeuterische Riesenkonzerne in seiner Geschichte zu verdammen und den zerstörerischen Schrecken der Technik in den grellsten Farben auszumalen. Das geht doch nicht, das ist ja wohl Doppelmoral! Je länger diese Erkenntnis braucht, um anzukommen, desto größer ist der Furor - was schließlich, nach reichlich Vorlaufzeit, bei Klaus Theweleit im Spiegel ("ein perverser Film") endet.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Widersprüche in dem Film geplant sind.

Der nächste Schritt ist es, Cameron seine Naturvolk-Sensibilität und seinen Political-Correctness-Bonus dialektisch wieder abzuerkennen. Das hat allen voran David Brooks in der New York Times getan, der "Avatar" als besonders krasse Manifestation des "White Messiah complex" bezeichnet - siehe auch "Der mit dem Wolf tanzt" oder "Pocahontas":

So naturverbunden und moralisch hochstehend die Kultur des indigenen Na'vi-Volks im Film auch gezeigt werde - ohne den bekehrten Weißen, der sich zu ihrem Führer aufschwingt, wären diese Space-Indianer doch verloren. Sie sind, wieder einmal, nur "Nebendarsteller auf unserem Weg zur Selbstbeweihräucherung".

Ist da nun Schluss? Aber nein, demonstriert Daniel Mendelsohn aktuell in der New York Review of Books: Er gräbt tief in James Camerons Werk, lässt den "Terminator" aufmarschieren, zitiert Zeugen und Interviews, um schließlich zum zentralen Punkt zu gelangen:

Der Mann steht, aller Bekenntnisse zu Mutter Natur zum Trotz, immer noch eiskalt auf der Seite der Maschinen. Oder, verschwörungstheoretisch präziser ausgedrückt, sogar mehr denn je. Sein "Terminator" durfte schließlich noch lernen, warum der Homo sapiens weint, und mit seinem freiwilligen Abgang im glühenden Hochofen gab er der unperfekten, nicht-virtuellen Menschenwelt eine zweite Chance. Auf den psychedelischen Traum muss die rituelle Rückkehr à la "Wizard of Oz" folgen: "There's no place like home."

Wenn aber der "Avatar"-Protagonist Jake Sully im letzten Bild die Augen aufschlägt, ist seine Seele vollständig in jenen künstlichen Superkörper übergetreten, den er vorher nur als Gast bewohnen durfte - er wählt, für das Sequel und den ganzen Rest der Ewigkeit, den Traum. Eine davon unterscheidbare Realität, ein "Home", zu dem er zurückkehren könnte, gibt es nicht mehr - sein alter, halbgelähmter Körper verwest schon irgendwo im Dschungel des Planeten Pandora.

Was das für den Erfolg des Films, für die Träume seiner Millionen Zuschauer, für die ganze Zukunft des Geschichtenerzählens bedeutet, ist in der Tat bedenkenswert.

Falsch ist aber die Annahme, dass diese ganzen Widersprüche und Ungereimtheiten dem Film eher unterlaufen, als dass sie geplant wären. Das stimmt nur insofern, als James Cameron und andere avancierte, ganz nach dem alten Autorenprinzip arbeitende Blockbuster-Künstler wie etwa Christopher Nolan ("The Dark Knight") gern kleine ideologische Sprengkapseln in ihre Filme einbauen - ohne ihre Detonation wirklich kontrollieren zu wollen. Diese Topoi zünden dann und rasen, wie Querschläger, pfeifend von rechts nach links und kreuz und schwer durchs ganze politische und dialektische Spektrum.

Dass dabei aber komplexe, faszinierende, unauflösbare Widersprüche entstehen, die in keiner Deutung mehr zur Ruhe kommen, ist nicht nur Programm: Es ist, im Kern, die eigentliche Ideologie der universalen Anschlussfähigkeit, die den aktuellen Blockbuster bestimmt.

© SZ vom 27.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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