Dina Nayeri:Bis zur Bewusstlosigkeit

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Dina Nayeri: Der undankbare Flüchtling. Aus dem Englischen von Yamin von Rauch. Kein & Aber, Zürich 2020. 400 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Vom Iran in die Ivy League: In ihrem essayistischen Memoir "Der undankbare Flüchling" erzählt Dina Nayeri ihre eigene Fluchtgeschichte.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn Dina Nayeri die Flüchtlingsunterkunft beschreibt, in die sie als Kind gebracht wurde, dann klingt es, als habe sie sich in einem magischen Ort in Italien aufgehalten. Ein altes Hotel auf einer Anhöhe, Dina, ihr Bruder und ihre Mutter wohnten hier für eine Weile, in den Zimmern Menschen aus aller Herren Länder, die Kantine ein verglaster alter Frühstücksraum. Dina auf dem Zauberberg.

Dina Nayeri wurde 1979 in Isfahan in Iran geboren, ein Kind der Revolution sozusagen, die im selben Jahr stattgefunden hatte. Sie stammt von wenig anpassungsfähigen Frauen ab - die Großmutter war in London zum Christentum konvertiert, Dina Nayeris Mutter tat es ihr bei einem Besuch in den Achtzigerjahren gleich. Das war wohl, irgendwie, ihre Antwort auf die Islamische Revolution, und es führte dazu, das ein paar Jahre später die Mutter mit ihren Kindern fliehen musste. Der Vater blieb zurück.

Über ihren Weg nach Europa mit Zwischenstation in Amerika hat Dina Nayeri ihr Buch "Der undankbare Flüchtling" geschrieben. Im Oktober ist ihr dafür der Geschwister-Scholl-Preis zugesprochen worden, für ihr erstes Sachbuch nach zwei Romanen. Die Besonderheit dieses Buches besteht allerdings darin, dass es so viele Dinge gleichzeitig ist, so poetisch wie sachlich. Es sind nicht nur Memoiren, sondern auch eine Recherche zur sogenannten Flüchtlingskrise von 2015, für die sie Lager besuchte und mit vielen Betroffenen sprach. Vor allem aber ist "Der undankbare Flüchtling" eine Abhandlung über das Wesen des Flüchtens, und was es anstellt mit den Menschen, die ihr Zuhause verlassen müssen.

Jeder Geflüchtete hat etwas zurückgelassen

Von Italien aus ging es für Dina Nayeris Familie erst einmal nach Oklahoma, inzwischen lebt sie wieder in Europa. Hier stellt man sich vor, schreibt sie, der Rest der Welt sei freudlos und hässlich, und vergisst dabei, dass jemand wie ihre Mutter auf dem Weg einen Doktortitel verlor und statt als Zahnärztin zu arbeiten, ihren Lebensunterhalt als Fabrikarbeiterin verdiente. Nayeri hat in Princeton und Harvard studiert, und so wie sie es beschreibt, ist es für jemanden mit ihrem Lebensweg nicht untypisch, der Leistungselite anzugehören: Ihre Antwort auf die Diskriminierung, die der iranischen Oberschichtstochter in Oklahoma begegnete, bestand darin, sich hohe Ziele zu setzen und stets zu versuchen, die Beste zu sein - beim Sport, den sie auf dem Weg zur Zulassung an einer Elite-Uni brauchte, sogar bis zur Bewusstlosigkeit. Immerhin hat sie das geschafft, und dass das nicht jeder kann und manche an unsichtbaren Mauern scheitern, erzählt sie auch. Ihre Mutter bemühte sich vergeblich, je wieder eine Zulassung als Ärztin zu bekommen.

Jeder Geflüchtete hat etwas zurückgelassen - eine Familie, vielleicht sogar einen viel höheren gesellschaftlichen Status. Und prallt dann auf eine neue Welt, die ihn dauernd fragt, ob seine Gründe zur Flucht auch gut genug waren. Was ist denn, will Nayeri wissen, schlimm genug, um echt zu sein? So will sie denn auch nicht dauernd dankbar sein, schon gar nicht als Lebensinhalt.

Die Flucht, schreibt Nayeri, habe sie geprägt, ihr Bild von sich selbst. In ihrem Buch vermengen sich Gespräche mit Neuankömmlingen in Europa mit Erinnerungen, die so wunderbar unsachlich sein können, wie es sich für eine Romanautorin geziemt. Von dem alten Hotel in Italien gibt es gleich mehrere Beschreibungen - eine sachliche, ja, vor allem aber die emotionale Erinnerung an den Neuanfang als Kind, die von einem Besuch als Erwachsene ziemlich übel brüskiert wird. Da kommt sie mit ihrem Ehemann zurück, es ist wieder ein Hotel aus dem alten Kasten geworden, aber die Magie ist entschwunden.

Natürlich hat der Zauber, den sie aus ihrer Kindheit in Erinnerung hat, etwas mit Dankbarkeit zu tun - für die Sicherheit, die sie empfand; den Neuanfang, den sie erahnte, nicht wissend, dass ihr Vater nie zu ihnen stoßen würde.

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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