Digitalisate:Private Case

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(Foto: British Library)

Von Johan Schloemann

In einer Zeit, in der HardcorePornografie im Internet ohne jeden Schutz zugänglich ist, mag man sich vielleicht noch erinnern: Die Vertriebswege für Schmuddelkram waren schon mal komplizierter. In der British Library in London zum Beispiel musste man sich delikates Material an einen speziellen Tisch im Lesesaal für seltene Bücher bestellen, um die erotische Literatur aus der Sammlung "Private Case" studieren zu können. Dieser Giftschrank wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt, im Zeichen wachsender Prüderie des viktorianischen Zeitalters - und damals natürlich nur von Männern für Männer.

Seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde die Zucht langsam gelockert, die unanständigen Titel wanderten nach und nach in den allgemeinen Bücherbestand. Jetzt aber hat die British Library die Private-Case-Sammlung erstmals vollständig digitalisiert und in eine neue Abteilung der Archives of Sexuality & Gender überführt. Das ist ein Rechercheportal des Verlagshauses Gale, zwar nicht kostenfrei, aber über Online-Bibliothekszugänge überall einsehbar, ohne Sittlichkeitsprüfung.

Unter den 2500 obszönen Büchern findet man "Rare Verities: The Cabinet of Venus Unlocked and Her Secrets Laid Open" aus dem Jahr 1658 - eine Kompilation saftiger Stellen von klassischen Autoren; den lange Zeit (in Deutschland bis 1969) verbotenen pornografischen Briefroman "Fanny Hill" von John Cleland (1749); oder die offen homosexuelle Liebesgeschichte "Teleny", die dem Umkreis von Oscar Wilde zugeschrieben wird.

Noch interessanter als diese Werke, die man auch anderswo im Netz finden kann, dürften für Sex- und Kulturhistoriker die unbekannteren Ergüsse sein: diverse Männerfantasien von wilden Gentlemen und unkeuschen Nonnen, aber auch handfeste Handbücher wie der 1757 bis 1795 jährlich erscheinende Bordellführer "Harris' List of Covent-Garden Ladies" (unsere Abbildung zeigt den Frontispiz). Dort erfuhr man etwa über "Miss Fr-M, from Berwick Street": ihre "parts below" seien "very conveniently adapted to any size". Das lassen wir züchtigerweise mal unübersetzt.

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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