Die von-Parish-Kunstschule:Mit Petticoat und Zeichenstift

Lesezeit: 3 min

Vor 70 Jahren eröffnet Hermine von Parish in Nymphenburg ihre Kunstschule. Heute gehören die Villa und die umfangreiche Sammlung von Modebildern und Kostümen zur "Von Parish Kostümbibliothek" des Münchner Stadtmuseums

Von Ilonka Wenk

Die Inspiration trug einen senfgelben Mantel über einem längeren lila Kleid. Und Männerschuhe! Dieser erste Eindruck von Hermine von Parish hat Frankie Mayer buchstäblich die Augen geöffnet. Mitte der Sechzigerjahre hatte der junge Mann aus einfachen Verhältnissen im Münchner Umland einfach mal bei der von-Parish-Kunstschule in der Kemnatenstraße 50 geklingelt. Das Spiel mit Proportionen, das Experimentieren mit Farben zu seinem Beruf zu machen: Darauf wäre er ohne die starke Persönlichkeit seiner späteren Lehrmeisterin nicht gekommen.

Nostalgisch erinnert sich der weltweit gefragte Stylist, Maler, Werbefilmer, Dozent und Buchautor mit Wohnsitz New York an seine vier Semester in der Nymphenburger Jugendstilvilla. Das Atelier unterm Dach mit Nordlicht, der romantisch verwilderte Garten. Wie viele ehemalige Absolventen der von-Parish-Kunstschule, die am 8. August 1946 eröffnete und bis 1974 bestand, hat er aus diesem Haus mehr mitgenommen als bloße Wissensvermittlung.

Konkurrenz von anderen privaten, staatlich anerkannten Instituten, die ebenfalls in Malerei, Zeichnen, Gebrauchsgrafik, Kostüm- und Bühnenbild sowie der Fertigung von Puppen und Figurinen ausbildeten, gab es genug. Auch die Blocherer-Schule, das Studio "Die Form" von Hein König in der Leopoldstraße, die Anbieter Oswald Malura in der Amalienstraße, Albert Rabenbauer am Sendlinger Tor und Joachim Stölzner in der Brunhildenstraße warben um Schüler. Außerdem lockte natürlich die Akademie der Bildenden Künste. Zwei der Professoren waren zugleich die Stars unter den von-Parish-Dozenten: Max Unold, hoch gehandelter Maler der Neuen Sachlichkeit, und Charles Crodel, berühmt für Kunst am Bau. Wenn letzterer von einer "Schule im Museum" sprach, brachte er damit das Alleinstellungsmerkmal dieser besonderen Adresse auf den Punkt. Nur hier nämlich konnten angehende Modedesigner, Bühnen- und Kostümbildner im Unterricht mit einer Sammlung von Grafiken, Büchern und Drucksachen zu allen Formen der menschlichen Bekleidung arbeiten. Schon damals umfasste sie Millionen von Darstellungen aus allen Zeiten und Kulturen.

Hermine von Parish und ihre Mutter hatten sie in beachtlicher Qualität zusammengetragen und mühsam über den Zweiten Weltkrieg gerettet. In unzähligen Schachteln, Kassetten und Mappen verstaut, belegten diese Schätze gleich nach Kriegsende ihre bombenbeschädigte Villa wieder mit Beschlag. Trickreich deklarierten die beiden Damen den Bestand als Anschauungsmaterial für ihre neu zu gründende Kunstschule, die daraufhin von der US-Militärregierung genehmigt wurde.

Hermine von Parishs Villa im Stil des Historismus mit Salon und Privatbibliothek soll jetzt restauriert werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Damit waren die Räume zwar vor Einquartierungen durch das Wohnungsamt sicher, nicht aber vor dem anfänglichen Zustrom eher Kunst ferner junger Leute, die so auf Vermittlung des Arbeitsamts "weg von der Straße" und an die heiß begehrten Essensmarken kamen. Pädagogische oder administrative Vorerfahrungen besaß Hermine von Parish nicht. Typisch für ihre Generation, musste die "höhere Tochter" ohne echte Berufsausbildung plötzlich Geld verdienen. Als Unternehmerin ihre zunehmend renommierte Schule 28 Jahre lang am Markt gehalten zu haben, darf da als reife Leistung gelten.

Die Fächer Kostüm- und Stilkunde sowie Kunstgeschichte unterrichtete sie selbst. Mit Scharfblick und Strenge lehrte sie ihre Schüler das vergleichende Sehen. Und riet ihnen, den Zeichenstift außer nachts niemals aus der Hand zu legen! Motive lieferten die Museen und Theater, Zoo und Zirkus und 1956 sogar eine Studienreise nach Paris. Man hospitierte im Malersaal des Gärtnerplatztheaters und entwarf Bühne und Kostüme etwa für Brechts "Kaukasischen Kreidekreis" an der Otto-Falckenberg-Schule der Münchner Kammerspiele.

Im hauseigenen Archiv findet sich ein 1967 handgeschriebener Brief von Heinrich Böll, mit dem er seinem damals noch minderjährigen Sohn erlaubte, am Aktzeichnen teilzunehmen. Und eine Quittung über 100 Mark Kursgebühr, die Andreas Baader, Mitbegründer der RAF, in seinem früheren Leben als von-Parish-Kunstschüler brav bezahlt hatte. Die Rechnungsbücher belegen freilich auch, dass ohne den Idealismus der Schulleiterin bis hin zur Selbstausbeutung, ohne die Hypothek auf dem Haus und ohne die spärlich tröpfelnden Subventionen schon früher Schluss gewesen wäre.

Lag im Trend der Zeit: Die von-Parish-Kunstschule um 1950. (Foto: oh)

Ihr Anwesen hat Hermine von Parish 1970 der Stadt München für eine Leibrente und Wohnrecht bis zu ihrem Tod 1998 verkauft. Die Sammlung schenkte sie der Stadt mit der Auflage, diese für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und an ihrem angestammten Platz weiterzuführen. Seitdem gehört die Schenkung unter dem Namen "Von Parish Kostümbibliothek" als externe Abteilung zum Münchner Stadtmuseum, wird im Rahmen der dortigen Sammlung Mode und Textilien betreut. Zeitweise schien indessen der Zentrale die Wertschätzung für diese Zweigstelle abhanden gekommen zu sein. Das Personal wurde minimiert, Gerüchte über eine Veräußerung der hochpreisigen Immobilie und die Auslagerung der Sammlung ins Depot machten die Runde.

Ein Neustart ist jetzt Isabella Fehle, der Direktorin des Münchner Stadtmuseums, zu verdanken. 2020 werden es 50 Jahre her sein, dass die Schenkung von ihrem Haus übernommen wurde. Im Vorfeld dieses Jubiläums lässt sie gegenwärtig den von-Parish-Kosmos von Grund auf erforschen. Für den überfälligen Katalog zur Sammlung läuft ein Rechercheprojekt, das auch die bewegte Familiengeschichte Hermine von Parishs, die Kunstschule und die Architektur ihrer Villa samt Inventar dokumentieren wird. Ihr original erhaltener Salon mit Privatbibliothek im Stil des Historismus soll bis dahin restauriert zurückkehren. Ein Stück Frauenkultur der Nach-Kriegs-Ära wird damit fixiert, das in die Lebenswelten-Thematik des Münchner Stadtmuseums passt.

Im Lesesaal sitzt Kim-Sarah Terme. Die 22-Jährige ist Studentin an einer privaten Mode- und Designakademie. Neben ihrem Laptop türmen sich Bücher und Magazine aus dem von-Parish-Fundus. Sie arbeitet über gotische Einflüsse auf die Mode von Jean Paul Gaultier. Warum nicht ausschließlich virtuell? Was bringt ihr dieses sympathisch aus der Zeit gefallene Ambiente? "Die Atmosphäre", sagt sie. Inspiration also. Immer noch, und immer wieder.

Von Parish Kostümbibliothek , Kemnatenstr. 50, Besuch nach vorheriger Anmeldung: 17 77 17, E-Mail: kostuembibliothek.stadtmuseum@muenchen.de

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: