Ausstellung "Unsubscribe":Goebbels' Hausmeister

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Für seine Ausstellung "Unsubscribe" hat Gregor Schneider Gegenstände und Bauschutt aus dem Geburtshaus von Joseph Goebbels zusammengetragen. Der Künstler wagt damit einen Versuch am lebenden Organismus - und einen neuen Umgang mit dem Nationalsozialismus.

Von Catrin Lorch

Die Männer gehen methodisch vor. Sie arbeiten mit schwerem Gerät, sie wissen, was zu tun ist. Reingehen ins Haus. Ausräumen. Nichts zurücklassen. Als sie den Bohrhammer ansetzen, ist alles bereits dokumentiert und archiviert. Die Bücher sind weg, die Bilder rausgetragen. Jetzt geht es an die Dielen, die Wände. Schwer vorstellbar, dass sie etwas übersehen, nichts wird übrig bleiben. Die Arbeit der Nachgeborenen ist Aufräumen und Abreißen. Ein Kampf, der aber nicht sicher gewonnen wird.

Es ist Rheydt, wo Trümmerbrocken durch eine blaue Plastikröhre in einen Container rutschen, Odenkirchener Straße 202. Das Haus, in dem Joseph Goebbels, Hitlers Propagandaminister, im Jahr 1897 geboren wurde. Und die Männer handeln nicht im Auftrag der Politik, sondern in dem der Kunst; der Bildhauer Gregor Schneider hat sie angeheuert.

Nicht, um den Schutt zu entsorgen oder Rheydt aufzuräumen. Gregor Schneider hat mit dem "Geburtshaus" das Kunstwerk zur Stunde geschaffen. Denn in Rheydt wurde ein Truck beladen mit den zwölf Tonnen Bauschutt, die übrig geblieben sind beim Entkernen des Goebbelsschen Geburtshauses. Damit fuhr man dann los, bewegte die Immobilie.

Die erste Station ist die Warschauer Nationalgalerie "Zachęta", wo der Laster mit seiner Fracht zur Eröffnung von Gregor Schneiders Einzelschau "Unsubscribe" (Abmelden) vorfuhr. Die zweite Station wird dann, von diesem Freitag an, Berlin sein, wo der Schwerlaster während der Feier ihres 100-jährigen Bestehens vor der Volksbühne geparkt wird.

Unbekannt für die Geschichtsforschung

Gregor Schneider hat sich mit der Immobilie an der Odenkirchener Straße 202 einen Ort angeeignet, der auch der Geschichtsforschung lange nicht bekannt war: Lebte der Schüler Goebbels doch im Elternhaus an der Dahlener Straße, später schenkte die Stadt ihrem berühmten Sohn dann noch ein Gästezimmer auf dem örtlichen Schloss. Doch Gregor Schneider, Jahrgang 1969, wie Goebbels in Rheydt geboren, fand in einer Rede des Propagandaministers Hinweise auf eben jenes unscheinbare Gebäude und recherchierte daraufhin in alten Melderegistern, bis er die Adresse gefunden hatte, die vor allem in den Tagebüchern von Goebbels in den letzten Kriegstagen eine Rolle spielte.

Während die Alliierten Deutschland überrollten, phantasierte Goebbels davon, wie er den in Rheydt von ihnen eingesetzten Oberbürgermeister von Partisanen "niederlegen lassen" werde, weil beim Einzug der Sieger "auch vor meinem eigenen Geburtshaus eine weiße Fahne geweht habe. . . Für die Amerikaner ist das natürlich eine Sensation erster Klasse, genauso, wie es für mich beschämend und demütigend ist."

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Für den 1969 geborenen Gregor Schneider muss die Entdeckung schon deswegen überraschend gewesen sein, weil er seit Jahrzehnten in unmittelbarer Nähe gearbeitet hat. Am "Haus ur", es ist keine hundert Meter entfernt. Dieses leer stehende Gebäude auf dem Firmengelände seiner Eltern hat er schon als 16-Jähriger in Beschlag genommen, indem er es endlos umbaute: Türen wurden versetzt und Fenster, Gänge und Flure. Bis sich Raum nicht mehr von Zwischenraum unterscheiden ließ, Geschosse und Zimmer unkenntlich waren, kaum zu betreten oder betrachten. Raum löste sich im Raum auf. Für die Kunstwelt war das manische, einsame Arbeiten eine Sensation. "Haus ur", im Jahr 2001 installiert im Deutschen Pavillon in Venedig, brachte Gregor Schneider den Goldenen Löwen ein.

Der Künstler erinnert sich an den Sommer, der ihn weltberühmt machte, aber immer noch mit einiger Enttäuschung, weil er gleichzeitig auch einen schwarzen Kubus auf den Markusplatz setzen wollte; eine Kaaba für Venedig - für die er keine Baugenehmigung erhielt.

Sein Werk blieb seither gleichermaßen provokant wie gefeiert: von den vollkommen gleich eingerichteten Nachbarhäusern in London, die er im Jahr 2004 von drei eineiigen Zwillingspaaren bewohnen ließ, bis zur "Totlast", einem Tunnel, dessen Aufbau in diesem Sommer im Duisburger Lehmbruckmuseum vom Oberbürgermeister abgesagt wurde, weil er an das Unglück bei der Loveparade erinnert hätte.

Während er in Duisburg verhindert wurde, lud man ihn nach Stommeln ein. Die historische Synagoge wurde in der Vergangenheit schon von Größen wie Lawrence Weiner, Sol LeWitt, Rosemarie Trockel und Daniel Buren bespielt. Der kleine Bau ist eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser, die den Nazi-Terror unbeschadet überstanden haben - weil er bereits 1938 aufgegeben und von einem Bauern als Stall genutzt wurde. Gregor Schneider verkleidete den Backsteinbau mit der Fassade eines Einfamilienhauses. Sogar eine Adresse hat er der versteckt hinter der Straßenfront liegenden Synagoge verpasst. Und weil es auch hier um Sichtbarkeit und Verschwinden geht, liegt die Stommelner "Hauptstraße 85a" in unmittelbarer, gedanklicher Nachbarschaft zum "Geburtshaus".

Keiner der weltberühmten Künstler, die vor ihm dort arbeiteten, hat eine so treffsichere, eine so deutsche Lösung finden können: Umbau und Ausbau, Dämmplatten und gelbe Fassadenfarbe. Was sicher damit zu tun hat, dass Gregor Schneider, der als Professor in München an der Akademie unterrichtet, weiterhin an Rheydt festhält, sich lieber arbeitend dort ausbreitet, als in Berlin, London, Tokio oder New York zu produzieren.

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Rheydt muss man sich wohl so durchlöchert, umgenutzt und verbaut wie "Haus ur" vorstellen. Gregor Schneider unterhält hier Lager, Abraumhalden, Hallen, Ateliers. Sein Büro hat er in einem ehemaligen Bordell im Bahnhofsviertel untergebracht. Er kauft Häuser, Ruinen, solche, die dem Bergbau im Weg standen, er braucht Platz. So fand er auch die Verkaufsanzeige Odenkirchener Straße 202. Seitdem der Ankauf perfekt ist, verbindet den Propagandaminister und den Künstler nicht nur der Geburtsort, sondern auch eine gemeinsame Adresse - erstaunlich war für Schneider, dass offensichtlich alle Bescheid wussten im kleinen Rheydt, außer ihm.

Gregor Schneider musste den Besitz nun aushalten, sich dieses grün gestrichene, zweistöckige, schmucklose Gebäude aus der Gründerzeit aneignen, das noch einiges an Überraschungen enthielt. Weil es komplett möbliert von der Familie Schmitz verlassen wurde, bei der die Familie Goebbels sich einst eingemietet hatte. Und da fand sich, was sich bis heute auf so vielen deutschen Dachböden findet oder unter Treppen: Lesestoff zur "Rassenkunde", Anleitung zur "Selbstmassage" und Gymnastik, im Werkzeugkasten habe ein Kraniometer gelegen, ein Gerät zur Schädelvermessung, im Keller fade befüllte Weckgläser für Notzeiten.

Nazi-Schutt in der Stadt

Jeder, der in der Nachkriegszeit aufgewachsen ist, kennt solchen Ramsch, er wurde ja oft nicht einmal versteckt. Ein Video dokumentiert in der Warschauer Ausstellung einen Rundgang durch das Goebbels-Haus mit den niedrigen Decken, den laminierten Möbeln, dem fahlen Linoleum. Wem spürt Schneider hier nach - der exemplarischen Familie Schmitz? Der Aura des Unortes? Oder dem kleinen Joseph, der sich auf der Treppe ans Geländer krallt?

Einige der industriell gedrechselten Holzpfosten staken aus dem Geröll auf der Ladefläche des Trucks, der vor dem Portikus der Nationalgalerie Zachęta parkt. Von einem Alu-Gerüst aus kann man hineinschauen. Die Warschauer Vernissage-Gäste reagieren vorbehaltlos darauf, dass ihnen Nazi-Schutt in eine Stadt geliefert wurde, die nach Kriegsende in so feine Trümmer zermahlen war, wie das, was hier ausgebreitet wird. Die Kultusministerin eröffnet dann die Ausstellung, umarmt den "geliebten Künstler" in ihrer Rede zumindest rhetorisch.

Doch ein Exponat wie Gregor Schneiders "Geburtshaus" zieht auch andere Kommentare an, schon am Tag nach der Vernissage: "Herr Dr. Goebbels ist durch eine hiesige Kreatur, welche sich Künstler schimpft, welcher zusammen mit den Mördern der ungesühnten polnischen Morde an deutschen Zivilisten eine billige Selbstdarstellung produziert, nicht zu erniedrigen!", heißt es in einer E-Mail an den Künstler. Die Kuratorin Anda Rottenberg wird auf den Internet-Seiten der polnischen Presse beschimpft, wo von "jüdischen Fanatikern" die Rede ist, von "linken Irren".

Doch Rottenberg ist keine Provokateurin, wie auch Gregor Schneider nicht einfach ein Vandale ist. Die zeitgenössische Kunst ist einfach so weit: Sie hat die White Cubes verlassen und sich auf Biennalen und Großausstellungen Orte erschlossen und auf ihre Bedeutung untersucht. Arbeitet mit authentischem Material, mit Fundstücken, Fotografien, privaten Filmen und ethnologischen Sammlungen, Archiven.

Ist das "Geburtshaus", sind die Überreste aus der Odenkirchener Straße 202, die Bücher, Spielsachen, Grünpflanzen, die Gregor Schneider in den Sälen der Galerie ausbreitet, einfach historisch kontaminiertes Material, dessen Entsorgung er öffentlich zelebriert? Hat die Kunst den Stein wirklich nicht angerührt? Die Ansage, in seinem Werk werde dieses Haus keinen Abdruck hinterlassen, hat Schneider genau genommen in dem Moment unterlaufen, in dem er einen Titel dafür erfand. Und so aus dem Geburtshaus von Joseph Goebbels das "Geburtshaus" von Gregor Schneider wurde.

Wer angesichts der klugen Pointen, die sich aus diesem Aufräumen ergeben, meint, das sei bloß konstruiert, übersieht, dass es Gregor Schneider mit seiner Kunst um einen Versuch am lebenden Organismus geht. Dass er fräsend, mauernd, sägend erkundet, wie Gebautes und Gelebtes aufeinander einwirken. Hinterlassen Menschen Spuren? Und umgekehrt: Strahlen Wände, Böden, Decken etwas aus?

Gregor Schneider hat sich in die schmale Küche der Odenkirchener Straße 202 gesetzt und einen Teller leer gelöffelt. Sich in ein Bett gelegt und dort geschlafen. Was nach Märchen klingt und - die Abrissgenehmigung hatte der Künstler ja schon vor dem Ankauf eingeholt - nach Henkersmahlzeit für das Haus.

"Bin ich ein deutscher Vorzeigekünstler?", fragt sich Gregor Schneider. Er reflektiert druckreif und konzentriert und verheddert sich auch in langen Interviews nie. Blond und schlank ist er, und er wirkt jung, wach. Dennoch kann es sein, dass er, nach einigem Reden, wieder bei der Ausgangsfrage ankommt. Und sich selbst eine andere Antwort gibt. Er ist wirklich neugierig, was passiert, wenn er den Bohrhammer anwirft.

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Man muss an Michelangelos Satz denken, vom Löwen, den der Bildhauer mit seinem Meißel aus dem Stein befreit. Wollte dann also Gregor Schneider den Steinen die Geister austreiben? Sicher ist Schneider in diesem Herbst noch immer kein Vorzeigekünstler, schon weil er sich weigert, wie ein Heimwerker vorzumachen, wie es gemacht wird. Und keinen Weg aufzeigt, sondern nur eine möglichen Route abfährt: Rheydt, Warschau, Berlin.

Lange waren Holocaust und Nationalsozialismus in der Kunst eher ein Thema für schlichte Denkmäler und Bildersucher, von Anselm Kiefers zitattriefenden Motiv-Findungen, bis zu Markus Lüpertz kraftmeierischen Wehrmachtshelmen oder den vielen, verzweifelten Fotografien der Opfer, die Christian Boltanski sammelte. Am klügsten waren die Maler, die, wie Gerhard Richter mit "Onkel Rudi" (1965), das einen Schnappschuss des eigenen Onkels in Wehrmachtsuniform als Vorlage nimmt, unübersehbar persönlich waren. Oder allgemein - mit einer Ansage an alle, wie Martin Kippenbergers "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken".

Das Erbe des Nationalsozialismus, das war - neben Raubkunst und wuchtiger Architektur, Ruinen und Büchern - aber auch eine ganze Menge Kram. Weswegen die zeitgenössische Bildhauerei nun in der Lage ist, entscheidende Fragen zu stellen. Die letzte Pointe von "Unsubscribe" ist, dass man sich dann ja doch nicht abmelden kann. Dass es dieses endgültige Aufräumen und Entsorgen auch in diesem Fall nicht geben wird.

Denn Goebbels' Haus ist lediglich entkernt, es kann aber nicht gänzlich aus dem Stadtbild entfernt werden, weil seine Außenmauern die Statik der Nachbargebäude stützen. Obwohl der Zusammenhalt geklittert wirkt und die Front unordentlich an das niedrigere Nachbarhaus anschließt. Rheydt und Berlin haben noch einiges an Erbe zu verteilen. "Unsubscribe" - unmöglich.

Gregor Schneider: Unsubscribe. Zachęta, Warschau, bis 1. Februar. Das "Geburtshaus" steht ab Freitag, 5. Dezember, vor der Volksbühne, Berlin.

© SZ vom 03.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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