Die CDs der Woche - Popkolumne:Von Menschen und Trümmern

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"Let's fly a kite" von Eleni Mandell (Foto: PR)

"Let's Fly a Kite" von Eleni Mandell ist wunderbar erfrischend und menschlich, während Den Sorte Skole auf "Lektion III" aus Resten einer gewesenen Musik etwas Neues zusammenzimmern. Alvaro verleiht auf seinem gleichnamigen Album seinem Leben als Exilant Stimme und Gesicht.

Von Karl Bruckmaier

Eleni Mandell

"Growing Up in Public" heißt ein seltsames Lou-Reed-Album aus einer Zeit, als Eleni Mandell noch in einer kalifornischen Preschool "Frosty The Snowman" gequäkt haben dürfte. Und doch beschreibt dieser Titel recht präzise, wie wir dem Erwachsenwerden einer großen amerikanischen Songwriterin haben zuhören dürfen über die Jahre hinweg: wie aus dem Punk-Fan unter der Anleitung des Hipster-Heiligen Chuck E. Weiss eine angejazzte Torch-Sängerin wurde in der Nachfolge von Tom Waits und Rickie Lee Jones.

Wie sich Eleni Mandell unter Zuhilfenahme einiger strassbesetzter Songs zu einer beachteten Countrypolitan-Sängerin gewandelt hat und nun, mit Mitte vierzig, eine ganz eigene Stimme gefunden hat, mit der sie ihrem Verlangen nach Sex, nach Liebe, nach Zuwendung Ausdruck verleiht, aber auch Raum findet für ihre dunkleren Stunden, die ein Leben so bereithält: Trennungen und Enttäuschungen.

Das Besondere an Eleni Mandells Liedern ist, dass sie diese Höhen und Tiefen auf "Let's Fly a Kite" (Make My Day Rec.) nicht zu bedeutungsschwangeren Menschheitsdramen auswalzt, sondern ihnen schulterzuckend eine Zwangsläufigkeit zuweist. Das mag sehr kalifornisch-amerikanisch anmuten - im Vergleich zur immer und immer wieder geblasenen Trübsals-Arie anderer Kolleginnen ist es hier aber wunderbar erfrischend und menschlich.

Selbst politische Lieder gewinnen so eine Entspanntheit, dass man ihnen über den Tag hinaus zuhören mag: "Something to Think About" etwa nimmt uns mit auf eine Demo gegen Obamas Guantánamo-Lügen, doch wird hier ebenso viel geflirtet, gelebt und geliebt wie protestiert. Und habe ich schon erwähnt, dass Eleni Mandell musikalisch begleitet wird von Nick Lowes Tourband? Alte Fahrensmänner, die mit ihren Instrumenten die für sie immer noch junge Frau umschwänzeln? Allein den Eintritt wert!

Es war einmal: Ohne großes Nachdenken über Copyright und Rechtsanwälte bedienten sich die kreativen Köpfe der frühen Hip-Hop-Tage im Steinbruch der Pop-Geschichte, brachen aus der Halde der Vergangenheit das heraus, was ihnen in neuen und schlauen und schnellen Maschinen zu zeitgenössischer Musik wurde - eigentlich nicht anders als all die anderen Musiker, die sich schon immer bei jenen bedient haben, die ihnen vorausgegangen sind.

Lektion III von Den Sorte Skole macht aus Trümmern einer gewesenen Musik etwas zwischen bravem Kunsthandwerk und gegenwärtigem Pop. (Foto: N/A)

Spektakuläre Prozesse um Urheberrecht und Lizenzgebühren bereiteten diesem Umgang mit Samples ein Ende. Eine Evolutionsmöglichkeit von Pop, die mit De La Soul oder DJ Shadow verheißungsvoll begonnen hat, wurde zur Sackgasse. Den Sorte Skole, ein Produzenten-Duo aus Dänemark, wollen dies nicht akzeptieren und tun, was explizit verboten ist.

Sie erbauen ihre Stücke ausschließlich aus Trümmern einer gewesenen Musik, geben akribisch genau an, wo welches Teil herstammt - und vertrauen darauf, dass ihr Umgang mit dem Material so eigenständig ist, dass er als eigene künstlerische Hervorbringung durchgeht. Zur Sicherheit wird die so entstandene Musik - wir sind bei "Lektion III" angelangt - als Download verschenkt und nicht verkauft (auf www.densorteskole.net).

Wer will, kann seiner Anerkennung in einer Online-Spende Ausdruck verleihen. Nun ist die Musik der "Schwarzen Pädagogen" manchmal nur braves Kunsthandwerk man vermisst eine durchgängige Handschrift, wie sie etwa die Melancholie eines DJ Shadow darstellte, aber "Lektion III" hat auch große Momente, wo sich Klänge, die so nie zusammengehört haben, zu frischem, gegenwärtigem Pop amalgamieren.

Über eine Million Menschen sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen, auf der Suche nach Arbeit, Wohlstand, Glück. Nach Sicherheit. Vor mehr als dreißig Jahren war auch Álvaro Peña-Rojas aus Chile so ein Schutzsuchender.

Auf seiner neuen EP Alvaro Seventy Years Old gibt der Jährige Eulenspiegel Alvaro dem Leben als Exilant nicht nur seine Stimme, sondern auch ein Gesicht. (Foto: N/A)

Nach einer wilden Zeit im punkigen London der Siebzigerjahre wurde der "Chilene mit der singenden Nase", wie er sich selbst nennt, in Konstanz ansässig. Er gab dem Leben als Exilant auf Platten und Konzerten seine Stimme, eine klagende, weltabgewandte, manchmal bauernschlau-freche Stimme - und mit seiner neuen EP "Alvaro" (Squeaky Shoes Rec.) auch ein Gesicht: Stolz, fast herrisch blickt vom Cover ein heute 70-jähriger Eulenspiegel, einer, der nicht gebrochen worden ist als Hartz-IV-Empfänger und als kreativer Nichtsnutz vom Bodensee weiter sein ganz eigenständiges Spielchen treibt mit den Verhältnissen in diesem unserem Musterländle.

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© SZ vom 22.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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