Die CDs der Woche - Popkolumne:Polierte Cottage-Romantik

Lesezeit: 3 min

Was bei anderen authentisch klingt, könnte man bei Jake Bugg zeitweise für eine Parodie halten. (Foto: PR)

London Grammar liefern Blaue-Augen-Soul und Jake Bugg zeigt so viel Handgemachtes, dass es wie eine Parodie scheint. Bei John Lennon McCullagh hört man eine eigene Stimme, wogegen Cliff Richard nach Karaoke-Revue klingt. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Joachim Hentschel

London Grammar

Bemerkenswert ist es schon, dass von der britischen Pop-Übermacht der sechziger Jahre heute fast nichts geblieben ist. In den aktuellen deutschen Top Ten finden sich bei Singles und Alben gerade mal zwei UK-Künstler (Queen, die es nicht mehr gibt, und James Blunt, den kein Land haben will). So ist es wohl kein Wunder, dass der aus L.A. stammende DJ "Skrillex" heute als prominentester Vertreter des urbritischen Clubmusikgenres Dubstep gilt.

Das junge Trio "London Grammar" trägt die Herkunft nun sogar im Namen, stand mit "If You Wait" (Island/Universal) in den heimischen Charts auf Platz zwei. Es klingt mit seinem polierten, von Cottage-Romantik und Blaue-Augen-Soul geprägten Pop aber auch nicht so, als ob man damit Bewegungen anführen könnte. In den besten Momenten haben die Songs die an leeren Clubwänden zurückhallende, bittersüße Melancholie, die früher die Musik von Sade Adu auszeichnete. Obwohl Sängerin Hannah Reid das typische blasse Britenmädchen ist, das sich in Ibiza auf dem Handtuch nebenan den schlimmen Sonnenbrand holt.

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Das hier erinnert dann aber schon eher an die Zeiten, als Großbritannien im Pop die Schnauze ganz vorn hatte. An die frühen Beatles, den Siegeszug der Oasis-Topffrisuren, die Arctic Monkeys und die Machtübernahme der MP3-Pickelbürschchen. Das größte Problem an der Musik des 19-jährigen Shootingstars Jake Bugg ist, dass er auch auf seinem zweiten Album "Shangri La" (Mercury/Universal) sehr wie ein wahrgewordener Nostalgiker-Wunschtraum wirkt.

Was bei anderen authentisch klingt, könnte man bei Jake Bugg zeitweise für eine Parodie halten. (Foto: PR)

Das Handgemachte, leicht Übersteuerte, die Beatkeller- und Seemannslieder-Aura, all das, was man gewöhnlich als Signal fürs kompromisslos Authentische nimmt - in den eingängigen Songs von Rotznase Bugg aus Nottingham kommt so etwas derart geballt, dass man es zeitweise für eine Parodie halten könnte. Eine echte eigene Identität als Songwriter ist in dem Alter auch schwer zu haben, bleibt also zu hoffen, dass der gewaltige Erfolg (natürlich vor allem im UK) dem Nachwuchssänger nicht die Wege verbaut, auf denen die Zukunft des britischen Pop wirklich zu finden sein könnte.

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Hier liegt sie zwar auch nicht, dafür hängt sich dieser noch jüngere Mann wenigstens anständig weit aus dem Fenster. Der 15-jährige John Lennon McCullagh aus der Kohlestaubstadt Doncaster imaginiert sich auf "North South Divide" (359 Music/Rough Trade) selbst als Protestsänger mit Mundharmonika und Holzgitarre, als nordenglischer Woody Guthrie und Bob Dylan, ohne die Vorbilder allzu sehr nachzuäffen.

Der poetische und klassenkämpferische Ton ist dem Oberschüler manchmal zu groß, trotzdem glaubt man hier zur Abwechslung mal eine eigene Stimme zu hören. Sie ringt noch um Ausdruck und nimmt es in Kauf, ab und zu aus der Kurve zu fliegen. Interessant ist die karge Platte, weil sie von einem legendären Impresario veröffentlicht wird: Alan McGee, Gründer des Labels Creation, Entdecker von Gruppen wie Oasis und My Bloody Valentine, hat sich mit der Kleinfirma 359 Music wieder ins Geschäft begeben. Wird mit Künstlern wie McCullagh zwar keine neue Revolution anzetteln, aber womöglich weiter den britischen Pop fördern, den andere übersehen.

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Was uns zum Schluss zu den Ursprüngen zurückführt, zum englischen Quasi-Elvis, dem Mann, der 1958 mit "Move It" die erste große britische Rock'n'Roll-Single veröffentlichte. Und der deshalb heute hüstelnd übergangen wird, weil er relativ bald ins Genre des Hausmeister-Schlagers wechselte.

Dass der 73-jährige Cliff Richard jetzt sein offiziell hundertstes Album veröffentlicht, soll nicht unerwähnt bleiben - obwohl "The Fabulous Rock'n'Roll Songbook" (Warner) mit 15 Versionen alter US-Klassiker von Chuck Berry bis Buddy Holly genau die lahme Karaoke-Revue ist, die man befürchtet hatte.

Immerhin stellt Richard noch einmal klar, von wem er damals seine Moves übernommen hat. Sollten die englischen Vorstadtkids sich heute von aktuellen amerikanischen Giganten wie Kanye West oder Lady Gaga inspirieren lassen, es wäre kein Schaden. Wir freuen uns dann auf unnostalgischen Britpop.

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© SZ vom 20.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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