Die CDs der Woche - Popkolumne:Langsamer Sog in den Abgrund

Lesezeit: 2 min

Sting spielt auf seinem neuen Album The Last Ship den Leierkastenmann. (Foto: PR)

Die These New Puritans bringen einen zum Heulen und Bill Callahan lässt wieder an die Kraft des Pop glauben. Sting spielt den Leierkastenmann und Allen Toussaint liefert eine Revue seiner großen Voodoo-Soul-Songs. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Joachim Hentschel

These New Puritans

"Field Of Reeds" (PIAS/Rough Trade) ist eine umwerfende, absolut seltene Schönheit, ein in jeder Hinsicht erschütterndes Kontrastprogramm zu dem, was uns seit Jahrzehnten unter dem Genretitel Indiepop doof von der Seite anlabert, ein ausnehmend gelungener Versuch einer jungen Band, aus der Ödnis der bewährten Form in neue, große Waldgebiete vorzudringen.

"Field of Reeds" von These New Puritans kann einen zum Heulen bringen. (Foto: PIAS/Rough Trade)

These New Puritans sind ein Trio aus der Küstenregion von Essex, haben 2006 mit eher konventionellem Jugenddisco-Tanzstoff begonnen. Und finden sich mit diesem Werk im halb goldenen, halb dunklen Dämmerlicht zwischen Songwriter-Pop, mittlerem Miles Davis, spätem Erik Satie, Krautrock und Konzeptkunst wieder. Was hier alles in neun Stücken zusammenfließt, scheint dabei von keiner arroganten Anstrengung getrieben zu sein - dazu haben die Binnen- und Submelodien, die Klarinettensätze und Jack Barnetts geraunter Gesang selbst viel zu viel Instinkt und Gänsehaut. Wer die späten Platten der Gruppe Talk Talk schätzt, wird beim Hören dieses Albums vor Freude heulen.

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Ohne die Superlative allzu wüst verschwenden zu wollen: Hier ist gleich noch eine Platte, die einem in einer Dreiviertelstunde allen Glauben an die Kraft des Pop wiedergibt, den man während all dieser mühsamen Tage verloren hat.

Bill Callahan liefert mit "Dream River" eine packende Übung in poetischem Stoizismus. (Foto: Drag City (rough trade))

Den Amerikaner Bill Callahan kennt man seit seinen Flegeljahren in den Achtzigern, als er Kassettenhörer mit Keyboardexperimenten quälte. Unter dem Pseudonym Smog stellte er später die Versorgung mit existenzialistisch-bitterem Alternativpop sicher, aber zur größten Blüte ist der 47-Jährige erst mit seinen seit vier Jahren unter Klarnamen veröffentlichten Platten gelangt.

"Dream River" (Drag City/Rough Trade) ist sein nächstes Meisterwerk, eine absolut packende Übung in poetischem Stoizismus. Seinen Sprechgesang lässt Callahan dieses Mal von eigenartigem Hippie-Space-Folk untermalen, mit Querflöte, Bongos und Effektgitarre. Dabei ziehen einen Callahans unfassbar lakonische Geschichten, die von sonderlichen Schiffsanstreichern, Möven und Speerwerfern handeln, langsam und freundlich in einen Abgrund, aus dem es wohl kein Entkommen mehr gibt. "You looked like worldwide Armageddon while you slept" bleibt dennoch die schönste Liebeserklärung des Jahres.

So betont mühelos Callahan und den Puritans etwas gelingt, das man als große Popkunst sehen kann, so schwer tut sich Sting. Weil es dem Mann, der in den Achtzigerjahren mal eine wichtige Stimme war, nicht genügt, als Songdichter anerkannt zu werden - er muss Zeitchronist, Großmime, Festspieldirektor sein.

Der Zyklus "The Last Ship" (Universal) ist nun tatsächlich Teil eines Theaterstücks, das Sting über den Niedergang der Schiffsindustrie in seiner Heimat Newcastle geschrieben hat, und das im kommenden Jahr am Broadway in New York uraufgeführt werden soll. Allein das wäre nicht lächerlich, würde er die Musicalkonvention nicht so übereifrig umarmen, mit nordenglischen Akzent den Leierkastenmann spielen, einmal sogar eine Art Seemannschor einsetzen.

Überall düdelt das irische Instrumentarium, bei dem man heute nur noch an den "Titanic"-Soundtrack und "Lord Of The Dance" denken kann. Stings alter Kumpel Bert Brecht hätte sich totgelacht.

Was musikalische Gelassenheit angeht, ist Allen Toussaint kaum zu schlagen. Als er im August 2005 vorübergehend von New Orleans nach New York zog, war das die Flucht vor Hurricane Katrina - Toussaint machte das beste aus der plötzlichen Entwurzelung, begann, in Joe's Pub in Manhattan regelmäßig Konzerte zu geben, allein am Klavier. Und fand auf die Art zu einer Souveränität als Bühnenentertainer, die der heute 75-jährige Songwriter davor nie gekannt hatte.

"Songbook" (Rounder/Universal) ist ein Mitschnitt aus zweien dieser Pub-Shows, ein herrlicher Spaß, eine Revue all seiner großen Voodoo-Soul-Songs wie "Southern Nights" und "Brickyard Blues", mit Toussaint als glänzendem Plauderer, der sogar mit einem Baby im Publikum spricht.

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