Die CDs der Woche - Popkolumne:Friebe reimt sich auf Liebe

Lesezeit: 3 Min.

Jens Friebe geht irre Silbenwege, um Bilder zu malen, er fasst Krieg und Frieden in Supermarktpoesie zusammen. (Foto: dpa)

Jens Friebe ist der deutsche Liedermacher der Generation Akkuleer. Seine neue Platte ist wieder ein kunstvoll angewelkter Blumenstrauß. Friebe denkt nach über verpasste Chancen, über Tod, Schlaf, Silvester - und singt dabei große Wahrheiten. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

Wer je ein Album von Jens Friebe in dem Moment hörte, in dem ein guter Rausch in Müdigkeit umkippte. Wem je im Zustand akuter Großstadtverzweiflung eine seiner wahnhaften Zeilen ins Hirn schlich, wer je Kopfweh beim Blümchensex bekam, der weiß: Jens Friebe ist wahrscheinlich der deutsche Liedermacher, der von allen am nächsten dran ist: am neuen Genie. Am echten Schmerz, der ja nicht schwarz ist sondern mit Neonröhren ausgeleuchtet. Und an der Generation Akkuleer.

Die Kunde des fünften Friebe-Albums verbreitete sich schnell unter denen, die zwar schon eine Balkonbepflanzung haben, aber trotzdem noch in Clubs gehen. Der Titel dazu klang bereits als Flüsterpost gut: "Nackte Angst, zieh dich an, wir gehen aus" (Staatsakt). Darüber kann man sich schon mal zehn Minuten freuen. Die Platte dann ist tatsächlich wieder so ein kunstvoll angewelkter Blumenstrauß geworden, mit dem ein angetrunkenes Transgender-Pärchen in Friedrichshain aufeinander eindrischt.

Besonders bewundernswert ist Friebes Textverständnis, er geht irre Silbenwege, um Bilder zu malen, er fasst Krieg und Frieden in Supermarktpoesie zusammen, schreibt Tagebuchszenen so auf, dass alles gesagt ist. Kleine Zeilen wie: "Und ich bin er / und du bist sie / in der romantic comedy" singt er so unendlich langsam und traurig, dass man danach mehr über die Liebe weiß als nach vier Hochzeitsmessen.

Die Tröstlichkeit des allabendlichen Augenschließendürfens

Oder der immer etwas grippal wirkende Friebe über den Tod - ein gewaltiges Epos. Bei den Botschaften überwiegt diesmal das lebenswunde Betrachten der verpassten Chancen und das Nachdenken über die Enden des Lebens, über Tod, Schlaf, Silvester. Ganz besonders schön ausgebreitet ist diese Wehmut im "Schlaflied" - einem grandiosen Wiegenlied über die Tröstlichkeit des allabendlichen Augenschließendürfens:

"Und alles, was verloren war, ist hier / Und alles, was kaputt war, funktioniert / Und alles, was uns irgendwann zerbrach / Wird heil im Schlaf / Und alles, was vergangen war, fängt an / Mit allen, die man nicht vergessen kann / Und allen, mit denen man nicht schlafen darf / Schläft man im Schlaf." Große Wahrheiten.

Friebes Stimme ist dabei ein ewig desperates Unentschieden zwischen Flüstern und Pöbeln und er bringt sie wie stets gut mit Flohmarktmusik zusammen. Er hat diese billigen, aber nie herzlose Plastikgeräusche perfektioniert, lässt mal den Keyboard-Beat dengeln wie der Alleinunterhalter in der Tanzschule, dann kommt er mit romantisch überdrehten Groß-Kompositionen an, wie ein Pornoregisseur mit einer Versailles-Kulisse. Friebe reimt sich auf Liebe und das ist es eigentlich. Obwohl er durchweg großartige Platte vorgelegt hat, vergisst man ihn, wenn es um die ewigen Lieblingslieder geht. Vielleicht, weil sich Friebe immer noch anfühlt, wie dieser abgerissene Kiez am Stadtrand, in dem man viele gute Nächte hatte, wo man aber tagsüber nie hinkommt. Jens Friebe ist immer noch nicht gentrifiziert.

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Peter Licht schon. Und das Kichern ist die Hölle. Es kommt nicht von Peter Licht, Gott bewahre, es kommt aus dem Publikum, das bei dieser Doppel-CD allgegenwärtig ist, denn es ist eine Doppel-Live-CD und heißt "Das Lob der Realität" (Staatsakt). Dass das Publikum so spürbar dabei ist, ist eigentlich nur gerecht, denn es hat via Crowdfunding diese Veröffentlichung erst möglich gemacht. Es soll nur bitte aufhören zu kichern, wenn Peter Licht in seinem großen Verzögerungscharme vorne steht und ein paar groteske Sätze spricht, bevor er die Gitarre hebt. Was stört an dem Kichern? Es ist das verdammte Kultur-Kichern der Netzavantgardisten, der geduschten Samstagabendpärchen und Spinatquiche-famos-Finder.

Licht hat diese kulturbeflissenen Motten über die Jahre ange- und erzogen, mit seinen Songs, die Tiefgang und Schönklang vereinen, irgendwie gewitzte Systemkritik und harmonischen Pop und eben Texte, in denen sich komische Begriffe wie Wurmloch, kalbende Gletscher und ja, Liebe so herrlich vielsagend anhören. Ein Peter-Licht-Konzert ist viel mehr als nur ein Vorspielen, es vereint Rezitation und Performance, Improvisation und Intellekt, das alles versprüht der Künstler freigiebig wie eine Wunderkerze. Er war erfolgreich im Theater und auf der Bühne beim Lesen um den Bachmannpreis. Er begreift auch das Netz, seine aktuelle Idee, für das Cover des Albums die Webgemeinde Fotos schicken zu lassen, führte zu einer unfassbar beliebigen Bilderwelt auf seiner Homepage und gerade das, haha, bedeutet ja doch wieder was.

Außerdem erscheint zeitgleich ein Buch im Blumenbar-Verlag, es heißt ebenfalls "Lob der Realität" und ist so eine Art Papier gewordenes Zusatzkonzert, eine Sammlung von großen und kleinen Geistesübungen, die allerdings ohne seine Rezitation etwas blutleer wirken. Immer geschliffen im Ton, immer leicht verrückt bei Wahrung authentischer Begriffe, immer etwas vage in der Aussage. Am besten bleibt Peter Licht jedoch an den Stellen, an denen er klar und schlicht singt. Ohne Dada, ohne Performance. Und ohne Kichern.

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© SZ vom 08.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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