Dichter und Frauen:Erfrische dich

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Karin Wieland erkundet mit Hofmannsthal und Brecht das moderne "Geschlecht der Seele". Anhand von Hofmannsthals fulminanter Frauentragödie "Elektra" und Brechts Zusammenarbeit mit seinen Frauen.

Von Jens Bisky

Gertrud Eysoldt hat die modernen Frauenfiguren gespielt, Salome, Lulu, auch Penthesilea, und doch soll das Publikum vom ersten Anblick der großen Schauspielerin oft enttäuscht gewesen sein, deren Erscheinung weder schön noch stattlich war. Sie habe, schreibt Karin Wieland, wie ein Kind gewirkt, mit einem mageren, knabenhaften Körper und herben Gesichtszügen.

So trat sie am 30. Oktober 1903 in Berlin auf die Bühne und barmte, hasste, rief nach Rache in einem Einakter Hofmannsthals. Er war zur Uraufführung nach Berlin gereist und erlebte, wie die Eysoldt in der Regie Max Reinhardts seine Elektra verkörperte: "mit offenem, strähnigem Haar und im abgerissenen Kleidchen", mit starrem Blick, zischend.

"Elektra" wurde der Erfolg, auf den Hugo von Hofmannsthal gewartet hatte. Binnen weniger Tage nahmen 22 weitere Bühnen das Stück an, drei Auflagen der Buchausgabe waren rasch vergriffen. Alfred Kerr sprach von einer "artistischen Tat". Siegfried Jacobsohn pries das Geschick des Dichters, "die Trollmächte der Seele wie mit einem Ruck ans Licht zu reißen". Im Zentrum der Tragödie nach antikem Vorbild stehen Frauen, die Mutter Klytämnestra, die Schwestern Chrysothemis, Elektra. Die Männer haben Nebenrollen. Aegisth, Liebhaber der Mutter, tritt kurz auf, der ermordete Agamemnon wird beschworen, der Bruder Orest wird zum Werkzeug der Rache, er ist, so Hofmannsthal, ein "unentbehrliches Requisit". Nachdem das blutige Werk abgetan ist, bricht Elektra zusammen. Ohne Hass hält sie nichts mehr. Ist das die moderne Frau?

In der Berliner "Elektra"-Aufführung lässt die Schriftstellerin Karin Wieland die Hofmannsthal-Kapitel ihres Buches "Das Geschlecht der Seele" gipfeln, um dann von Bertolt Brecht zu erzählen, seinen Schreibversuchen und erotischen Erfahrungen, von Liebeleien, Ehen, Freundschaften und seinem Geschick, Geliebte in Mitarbeiterinnen zu verwandeln.

Hofmannsthal und Brecht hatten im Leben wenig Berührung, aber beide waren - zeitversetzt - Dichter eines Aufbruchs, sagten in Gedichten das eine und anderes auf dem Theater.

Karin Wieland unterwirft die beiden Schwierigen nicht einer kecken These. Wie in ihrer 2011 veröffentlichten Doppelbiografie der Jahrhundertfrauen Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl interessiert sie sich auch diesmal für Details, Verhalten, Abläufe. Ihre Art, Theater- und Literaturgeschichte als Folge von Beziehungsdramen darzustellen, macht es dem Leser unmöglich, weiterhin von der mo dernen Frau zu sprechen, als wäre darunter eine und nur eine Rolle zu verstehen. Wer glaubt, dass es im Verhältnis der Geschlechter meist mehrere Möglichkeiten gibt und dass davon besser mit Sinn für Nuancen geredet werden sollte, statt linearen Fortschritt zu konstruieren, der findet in diesem glänzend erzählten Buch eine Fülle aufschlussreicher Beobachtungen.

"Er war das Fräulein, auf dessen Ankunft die Welt gewartet zu haben schien."

Über Gertrud Eysoldt etwa heißt es, sie habe in keines der Rollenfächer gepasst, die Schauspielern damals zugeteilt wurden. Ihr Äußeres entsprach nicht den Erwartungen an die "Liebhaberin", für die "Heldenmutter" war sie zu jung.

Karin Wieland: Das Geschlecht der Seele. Hugo von Hofmannsthal, Bert Brecht und die Erscheinung der modernen Frau. Carl Hanser Verlag, München 2017. 304 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

Hofmannsthal selbst wird mit einem grandios provokanten Satz eingeführt: "Er war das Fräulein, auf dessen Ankunft die Welt gewartet zu haben schien." Noch einmal liest man, wie der schwerstbegabte Jüngling das Staunen der bärtigen Wiener Bohemiens wurde, wie Stefan George nach Wien kam, sich in den Siebzehnjährigen verliebte, zurückgewiesen wurde und Hofmannsthal schließlich an die bürgerliche Welt des Theaters verlor. Aus Georges Absicht, gemeinsam eine "heilsame Diktatur" über das Schrifttum auszuüben, wurde nichts. Kurz vor der "Elektra"-Premiere hatten sie sich im Berliner Westend getroffen, wo George gern beim Künstlerpaar Lepsius weilte, dort Lesungen abhielt. Aber das Geschehen in der "Mysteriengrotte" (so respektlos Marie von Bunsen) scheint Hofmannsthal ebenso verunsichert zu haben wie die hässliche, große Stadt. Was George über "Elektra" dachte, erfuhr er nicht, war er doch nach Rodaun zurückgekehrt, ohne den Gefürchteten noch einmal zu treffen, der wiederum sein Urteil nicht "in einigen Briefzeilen abtun" wollte. George, heißt es, war nach dem "Elektra"-Abend nie wieder im Theater. So klingt es nicht ganz abwegig, wenn Karin Wieland schließt, Hofmannsthal habe "die moderne Psyche" in einer Frauengestalt gezeigt und damit sei ihm ein "subtiler Schachzug" gelungen, "um George endgültig ins zwanzigste Jahrhundert zu entkommen: Er machte sich selbst zur Frau".

Dies ist nur einer der Fäden in der dicht gewebten Erzählung dieses Buches. Wer gern liest, darf aus guten Gründen skeptisch sein, was "erzählende Sachbücher" betrifft. In acht von zehn Fällen werden unter diesem Label Pseudo-Anschaulichkeit, Gedankenarmut und entsetzlich verstaubte Erzählmodelle angeboten. "Das Geschlecht der Seele" gehört zu den seltenen Ausnahmen, auch weil die Erzählerin mit verstörender Aufmerksamkeit das Aussehen ihrer Helden schildert, Gesicht und Kleidern bei Männern wie bei Frauen ebenso viel Raum gibt wie Ideen, Tantiemen, Affekten.

"Der Mann will die Frau nicht nur haben, er will sie auch sein."

Brecht, der verstanden hatte, dass er "nicht unbedingt stark und groß sein muss, um als attraktiv zu gelten", umgab sich gern mit jungen, vom neusachlichen Zeitgeist geprägten Frauen, also jenen, die Realitätssinn statt Romantik mitbrachten und den Männern zeigten, wie viel Arbeit und Anstrengung gutes Aussehen verlangt: "Häufig beginnen sie als seine Geliebte und gehen dann in den Kollektivbestand über."

Das ist ihm oft vorgerechnet und vorgehalten worden. Karin Wieland schildert Brechts Frauen vor allem als Akteurinnen, die wussten, was sie wollten und im Theater einen Raum dafür fanden. Carola Neher - sie hätte die Polly in der Uraufführung der "Dreigroschenoper" gespielt, hätte nicht ihr damaliger Mann, der Dichter Klabund, im Sterben gelegen - schrieb 1926 in der Frankfurter Zeitung: "Der Mann will die Frau nicht nur haben, er will sie auch sein ... es mag anmaßend von einer Schauspielerin klingen, aber es ist so: am Theater herrscht die Frau, sie hat die Hosen an - auch ohne sie anzuhaben." Der Einvernahme hat sich Neher verweigert, sie wollte sich nicht einfügen lassen in Brechts "Produktionsliebeskollektiv". Als er Helene Weigel zum Standesamt führte, war sie mit einem Liebhaber auf Reisen.

Die Ehe Brecht-Weigel wurde ein Bund im Dienst an der Kunst, die Liebe ausgekühlt, Verlässlichkeit wichtiger als Schwärmerei. Als Witwe wird die Weigel, mächtige Prinzipalin und Sachwalterin seines Wollens, sagen, die Schauspielerinnen könnten sich bei ihr für die vielen Frauenrollen bedanken, die Brecht schrieb, er habe sie für sie geschrieben.

Carola Neher emigrierte mit dem Kommunisten Anatol Becker, den sie 1932 geheiratet hatte, über Prag in die Sowjetunion. Becker wurde 1937 verhaftet und erschossen, sie verurteilte man wegen Beteiligung an einer trotzkistischen Verschwörung zu zehn Jahren Haft. 1942 starb sie in einem der Lager des Gulag an Typhus.

Öffentlich hat Brecht über die unter Stalin Ermordeten geschwiegen, aber er erkundigte sich mehrfach vorsichtig nach Carola Neher. Eines seiner schönen Gedichte heißt "Rat an die Schauspielerin C.N.": "Erfrische dich, Freundin / An dem Wasser aus dem Kupferkessel mit den Eisstücken / - Öffne die Augen unter dem Wasser, wasch sie - / Trockne dich ab mit dem rauhen Tuch und lies / Vom Blatt an der Wand die schwierigen Zeilen der Rolle / Wisse, das tust du für dich und tue es vorbildlich." 1937 nahm er das Motiv in einem zweiten Gedicht an die geliebte Schauspielerin wieder auf: "Jetzt höre ich, du sollst im Gefängnis sein. / Die Briefe, die ich für dich schrieb / Blieben unbeantwortet. Die Freunde, die ich für dich anging / Schweigen. Ich kann nichts für dich tun ...".

Karin Wieland zitiert auch Brechts letztes Gedicht vom Waschen und von der Schauspielerin Carola Neher, verfasst 1953. Sie ließ ihn offenbar nicht los, dennoch fuhr er zur Entgegennahme des Stalin-Friedenspreises 1955 nach Moskau.

Überzeugend ist dieses Buch auch, weil es das Unvereinbare nebeneinander stehen lässt, unversöhnlich.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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