Deutscher Film:Oben bleiben

Lesezeit: 2 min

Atemlos – und ja, auch durch die Nacht: Stephanie Amarell und Lisa Vicari (rechts) in „Schwimmen“. (Foto: UCM.One Verleih)

In ihrem rauschhaften Langfilmdebüt "Schwimmen" beobachtet Luzie Loose zwei Neuköllner Mädchen beim Erwachsenwerden - vom Mobbing bis zur Befreiung.

Von Annett Scheffel

Die Atemlosigkeit im Wasser. Am Anfang ist sie das bestimmende Gefühl. Das schnelle, nasse Schnappen nach Luft, die unsteten Bewegungen der Wellen. Darunter der klaustrophobische Raum zwischen blauen Kacheln. Wir befinden uns mitten in einem Pubertätstrauma, dem Schwimmunterricht in der Schule. Ein passendes Bild für die Perspektive der 15-jährigen Elisa, für ihre Ängste und Beklemmungen, ihre Einsamkeit und ihr Gefühl des Ausgeliefertseins nicht nur beim Schwimmen. In ihrem Leben geht es darum, sich irgendwie über Wasser zu halten und, wenn alles gut geht, vielleicht sogar ein bisschen freizuschwimmen.

Luzie Loose erzählt in ihrem Langfilmdebüt von Elisa, diesem zarten, unsicheren Mädchen, das noch nicht viel über seinen Platz im Leben weiß. Die Eltern haben sich getrennt. Elisa zieht mit ihrer Mutter aus dem behaglichen Eigenheim mit Garten in einen Neuköllner Neubaukomplex. Der Abschied von der Kindheit ist drastisch, die Mutter verbittert und meist abwesend. Nur ein paar glückliche Szenen auf dem Camcorder des Vaters sind geblieben.

Die Orientierungslosigkeit setzt sich in der Schule fort: Elisa wird gemobbt. Sie ist das einfache Opfer, die Schwache, weil ihr immer wieder schwarz vor Augen wird. Als sie nach dem Schwimmunterricht in der Dusche ohnmächtig wird, fotografieren und filmen ein paar Mitschüler sie mit geöffnetem Badeanzug. Nur die selbstbewusste Anthea geht dazwischen. Sie ist neu an der Schule, laut und extrovertiert - eine ganz andere Art von Außenseiterin. Trotzdem entwickelt sich zwischen den beiden Mädchen eine fragile Freundschaft.

Anthea holt Elisa aus ihrer Isolation. Schließlich weiß sie nicht nur, wie man Ohrlöcher sticht und im Späti am elegantesten Sekt mitgehen lässt, sondern nimmt sie auch mit auf ihre ersten Techno-Partys. Zwischen den euphorischen Ausflügen in die Nacht suchen die Mädchen aneinander Halt - und beginnen zugleich, alles um sie herum mit Handy und Camcorder festzuhalten. Bald werden die Kameras zur Waffe gegen die Klassenkameraden, die Elisa einst schikaniert haben. Die Selbstermächtigung kippt in eine eigene Täterschaft.

Luzie Loose inszeniert diese Freundschaftsgeschichte in eindrücklich rauschhaften, zärtlichen und subjektiven Bildern und Stimmungen. Die nächtlichen Erkundungen der Mädchen zeigt sie als wunderbar schwerelose Trips durch Klang-, Farb- und Stimmungsräume, die in ihrem feinen Gespür für das flirrende und brüchige Freiheitsgefühl Berlins an Sebastian Schippers "Victoria" erinnern. Und sie kommt der zerrütteten Realität ihrer beiden Protagonistinnen sehr nah.

Das liegt auch am bemerkenswerten Zusammenspiel der Hauptdarstellerinnen Stephanie Amarell ("Das weiße Band") und Lisa Vicari ("Dark"). Weil sich alles auf das Machtgefüge dieser Freundschaft konzentriert, wirken einige der anderen Konflikte, die an den Rändern aufscheinen, zwar manchmal verkürzt und überfrachtet. Trotzdem gelingt Loose das intensive und sehr genaue Porträt einer jungen Frau, die gegen den kalten Sog ihres Ohnmachtsgefühls anschwimmt und sich dabei unfreiwillig in neue Abhängigkeiten bringt. Atemlos wird Elisa am Ende immer noch sein - aber auch ein bisschen freier.

Schwimmen , D 2019 - Regie und Buch: Luzie Loose. Kamera: Anne Bolick. Schnitt: Marco Rottig. Mit: Stephanie Amarell, Lisa Vicari. USM.One, 101 Min.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: