Deutscher Alltag:So jung kommen wir nicht mehr zusammen

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Es ist nicht verwerflich, einer Dame zu sagen, sie sehe aus wie die junge Wieczorek-Zeul. Peinlich nur, wenn man dieses Kompliment jährlich macht.

Kurt Kister

Es ist keineswegs verwerflich, wenn man zu einer Dame sagt, sie sehe aus wie die junge Heidi Wieczorek-Zeul. Letztere, des Zeilensparens halber fürderhin HWZ genannt, war früher nach der Auskunft von HWZ-Experten ein, wie man damals sagte, ausgesprochener Feger, ganz abgesehen davon, dass sie an den Sozialismus glaubte, wenn auch in dessen Frankfurter Spielart. (Der Frankfurter Sozialismus war so etwas Ähnliches wie es die Wiener Würstchen immer noch sind: manchmal appetitanregend, aber eigentlich nur für 13-Jährige halbwegs nahrhaft.)

Heidi Wieczorek-Zeul ist in Würde älter geworden. Trotzdem empfinden es jüngere Frauen nicht unbedingt als Kompliment, wenn man sie mit der Politikerin assoziiert.  (Foto: dpa)

Zwar ist auch HWZ in Würde reifer geworden, und sie war, nicht nur im Vergleich mit dem Einzelkämpfermützenträger Niebel, eine sehr ordentliche Entwicklungsministerin. Trotzdem empfindet es eine jüngere Frau heute nicht unbedingt als Kompliment, wenn man sie mit HWZ jun. assoziiert.

Besonders peinlich wird es, wenn die eigentlich in Maßen charmiert sein sollende, sich aber beileibe nicht so fühlende Gesprächspartnerin einem auch noch vorwirft, das mit HWZ habe man schon letztes Jahr einmal gesagt. Himmel hilf! Man stammelt ein wenig herum, retiriert und denkt: Wie kann man so etwas nur vergessen?

Leider gehört dies zum Schicksal allmählich alternder Menschen, die täglich mit vielen reden müssen. Man sagt dies, man sagt das, und am Ende der Woche hat man so viel gesagt, dass man drei Viertel noch vor Samstagmittag nicht mehr weiß. Die Menschen aber, mit denen man geredet hat, wissen es sehr wohl noch. Sie haben es sich gemerkt, und wenn der Vielsprechende irgendwie auch noch ihr Chef ist, dann merken sie es sich elefantengleich über Jahre.

"Aber Sie haben damals doch gesagt, dass Berlin für mich durchaus in Frage käme." Wie?, grübelt man, Berlin? Was meint er? Hat man überhaupt jemals mit diesem Menschen? "Sogar ein Teilzeitmodell hielten Sie für möglich." Häh, Teilzeit? Während der erinnerungsstarke Gesprächspartner noch einmal seinen Berlin-Plan darlegt, gleiten die Gedanken fort, man schaut dem Sprechenden in die Augen und hat plötzlich die Assoziation, aus seinem Munde schöben sich lange Bahnen furnierten Holzes, auf denen Wörter tanzten: "Entwicklung zunächst nach München pendeln Familie nachholen". Man schreibt diese Wörter auf. Liest man sie später, ergeben sie nicht viel Sinn. Aber immerhin: eine Gesprächsnotiz.

In einem halben Jahr wird der Mann wiederkommen und genau wissen, was man angesichts der Furnierholzbahnen gemurmelt hat. Im Übrigen, und diese Erkenntnis steigt jetzt mit der Klarheit einer online-Klickbilderstrecke im Hirn auf, sah der Mann aus wie der selige General Kießling, der die Lippen immer so schürzte. Man muss nur sehr aufpassen, dass man in einem halben Jahr nicht sagt, der dann wiederum hoffnungsvoll Vorsprechende erinnere einen an den General Kießling.

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